Theorie und Praxis

■ Obermetaller Gottscholl schert sich in seiner Firma nicht um Tarifverträge

Hannover (taz) – In der eigenen Firma schert sich der Präsident von Gesamtmetall, Hans-Joachim Gottscholl, wenig um Tarifverträge. Die IG Metall hat den Oberarbeitgeber jetzt in einem seiner ostdeutschen Betriebe, der „Rackwitz Aluminium“ in Merseburg, bei einem eindeutigen Vertragsbruch erwischt. Den 190 Beschäftigten des Alufolienherstellers hat Gottscholl auf einer Betriebsversammlung am vergangenen Donnerstag höchstpersönlich verkündet, daß sie auf tariflich garantierte Bezüge verzichten müßten. Weil der Betrieb Verluste macht, will Gottscholl für die Jahre 1995 und 1996 weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld zahlen. Die Mitarbeiter sollten entsprechende Verzichtserklärungen unterzeichnen. Das jedoch widerspricht eindeutig dem Manteltarifvertrag, den die sachsen-anhaltinischen Arbeitgeber 1991 mit der Gewerkschaft abgeschlossen haben.

Die IG Metall ist ebenso bestürzt wie verwundert über Gottscholls Vertragsbruch. Auch in Sachsen-Anhalt wurde nämlich im Jahre 1993 eine Härtefallregelung in den Tarifvertrag aufgenommen, die Ausnahmen vom Tarifvertrag für in Existenznot geratene Betriebe durchaus zuläßt. Voraussetzung ist allerdings, daß der Betrieb einen förmlichen Härtefallantrag stellt, über den dann Arbeitgeber und Gewerkschaft oder ein Schlichter zu entscheiden haben. Der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen- Anhalt soll Gottscholl nun wieder auf den Pfad des Gesetzes bringen. Die Gewerkschaft hat den Verband aufgefordert, sicherzustellen, daß auch der oberste Metallarbeitgeber Tarifverträge einhält. Jürgen Voges