: Holocaust-Denkmal: Sein oder Nichtsein
■ Kohls Ablehnung der „gigantischen“ Grabplatte finden die Denkmals-Befürworter „beschämend“ und antidemokratisch
Bundeskanzler Helmut Kohl wird für seine ablehnende Haltung gegen das geplante Holocaust- Denkmal und den Zeitpunkt des Mißfallens immer mehr der Kopf gewaschen. Nachdem sich am Wochenende Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, gegen Kohls faux pas um das Mahnmal gewandt hatte, schalteten sich gestern auch die Initiatoren und Auslober des „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ in die aufgeflammte Debatte mit ein. Lea Rosh, Vorsitzende des Förderkreises zur Errichtung des Holocaust-Denkmals, verteidigte den Grabplatten-Entwurf von 100 mal 100 Meter.
Kohl hatte den Entwurf der Künstlerin Christine Jackob- Marks, die vergangenen Mittwoch als Siegerin aus einem Wettbewerb hervorgegangen war, als zu „gigantisch“ bezeichnet. Außerdem kritisierte der Kanzler die übermächtige städtebauliche Dimension und die mangelhafte öffentliche Debatte für ein derartiges Vorhaben. Schützenhilfe erhielt Kohl gestern von Erika Steinbach, kulturpolitische Sprecherin der Bonner CSU- Fraktion. Sie bezeichnete die Platte ebenfalls als „monströs“.
Wie verfahren der Disput bereits ist, zeigt die Aussage von Rosh, die das Ausmaß der Platte schon wegen des „gigantischen Vorgangs“ von sechs Millionen ermordeter Juden für angemessen hält. Rosh wandte sich auch gegen die Aussagen von Kohl sowie die des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, daß keine öffentliche Debatte über das Denkmal geführt worden sei. Kohl und Diepgen hätten „drei Monate Zeit“ gehabt, um sich mit den Entwürfen auseinanderzusetzen. Diepgen hatte gestern wiederholt betont, daß er keinerlei Zeitdruck für eine Entscheidung zum Bau des 20 Millionen Mark teuren Mahnmals sehe und den Entwurf als Vorlage in den Kulturausschuß des Parlaments bringen wolle.
Unverständnis ernten Kohl und Diepgen auch von Walter Jens, Vorsitzender der Wettbewerbsjury. Jens bezeichnete den Streit als „nationale Schande“. Kohl versuche auf „fast feudale Weise“ zu bestimmen, was sein oder nicht sein dürfe. Scharf reagierte auch Bausenator Wolfgang Nagel, der den internationalen künstlerischen Wettbewerb ausgelobt hatte. Nagel sprach in einer Erklärung über den Denkmalsstreit von einem „beschämendem Vorgang“ und von der „Unfähigkeit zu trauern“. Nagel: „Es ist bestürzend, mit welcher Beliebigkeit die in der öffentlichen und politischen Diskussion üblichen Argumente auf eine Entscheidung ausgedehnt werden, deren kulturelle und historische Bedeutung ihresgleichen sucht“.
Statt ein sichtbares „Zeichen der Trauer und der Scham“ zu setzen, werde versucht, das Mahnmal zu kippen. Nagel wandte sich gegen das Kohlsche Argument der Monumentalität und die fehlende öffentliche Debatte. Kohl hätte zudem bei seiner umstrittenen Entscheidung für die Gestaltung der Neuen Wache „auch nicht den breiten gesellschaftlichen Konsens gesucht.“ Nagel schlug vor, nach der Sommerpause das Denkmal per Senatsbeschluß abzusichern.
Von der Berliner Künstlerin Christine Jackob-Marks, deren Entwurf aus 528 eingereichten Arbeiten ausgesucht worden war, war bis zum Redaktionsschluß keine Stellungnahme zu erhalten. Rolf Lautenschläger
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