piwik no script img

Langsam und sanft im Groove versackt

■ Mille Plateauschuhe: Das Heidelberger Source-Label produziert schon seit 1992 Gesamtkunstwerke namens Techno

Heidelberg – das war kürzlich der Wissenschaftsseite zu entnehmen – sackt pro Jahrzehnt um einen Zentimeter ab. Was den menschlichen Maßstäben und den sie bedingenden Sinnen vernachlässigbar erscheint, ist, tektonisch bewertet, ein großes Ding. Am winzigen Zentimeter hängen äonenmäßige Bewegungen. Der Vibe, der einen umfängt, wenn man in Heidelberg aus dem Zug steigt, ist also ein sehr langsamer oder, von der anderen Seite betrachtet, ein schon fast beängstigend schneller. Wie in der Tektonik das landläufig Minimalste größte Aufmerksamkeit erregt und andererseits das landläufig Maximalste (ein Erdbeben) nur den Gleichmut der Geodäten erregt, sind die im Techno sich gerade vollziehenden Bewegungen dieser Dialektik unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen ausgesetzt. Die gemeinten Bewegungen sind auch in dieser Zeitung schon angesprochen worden – Stichworte: Versprachlichung, Historisierung von Techno. Ausdruck finden diese Tendenzen in einer kleinen Flut von Büchern zum Thema. Aber ist dies wirklich „ein bedeutsamer Einschnitt“ (Thomas Groß, taz, 2. 6. 95)? Oder wird hier nicht bloß eine zentimeterweise Verschiebung für ein Erdbeben gehalten? Obwohl so gut wie textlos, ist Technomusik immer mit einem Übermaß an Text begleitet worden, dessen Hauptinhalt wiederum die Repetition der eigenen Historie war. Man schaue sich da nur mal die Linernotes auf den frühen Compilations an; außerdem gab es Fanzines vor Frontpage, und es gab Frontpage, bevor sie die 100.000er- Auflage erreichte.

Wer von außen auf Techno blickt, nimmt einerseits die „Inhaltslosigkeit“ (= kein Text) der Musik wahr und andererseits nur das im Umfeld sprachlich Artikulierte, was als Abgrenzung gemeint war. Aber die verbalisierte Abgrenzung als den ausschließlichen inhaltlichen Anspruch des sich da Abgrenzenden auszugeben, ist immer und überall Strategie derer, die sich diesseits der vermeintlichen Grenze eingerichtet haben. Wenn man zum Beispiel fünf Platten mit Technomusik in Folge besprochen hat, läuft man Gefahr, mit „Aha, da kommt der Herr Technoschreiber“ begrüßt zu werden; und das von Kollegen, die ihr Leben lang bisher nur Platten mit Gitarrenmusik besprochen haben – und die sich natürlich nicht als Gitarrenschreiber ansehen. Rock ist nach wie vor die Normalität und Techno die Ausnahme; und Techno ist zur Zeit großes Medienthema nur unter dem Aspekt des Phänomens: Plötzlich gibt es fünf Millionen Technofans, von denen aber nur ein paar die Millionen verdienen, und so weiter. Ohne das Feuilleton als Ziel vor Augen ist festzustellen, daß Techno nirgends als das betrachtet wird, was es ist: Musik.

Techno als Wille und Vorstellung

Seit 1992 bringt das Label Source entsprechende Platten heraus. Ohne die in Berlin oder Frankfurt immer mitformulierten Welteroberungspläne geschmiedet zu haben, hat die in Heidelberg produzierte und veröffentlichte Technomusik ein gutes Stück der Welt erobert. Source-Platten sind hoch angesehen in England und den USA, das Label und seine Acts erhielten Rezensionen und Berichte in Zeitschriften wie Melody Maker und i-D, also nicht gerade den kleinsten Spezialblättern; und vom MixMag wurde Source gerade unter die zehn wichtigsten Techno- Labels weltweit gewählt. Dies nur zur ungefähren Einordnung und dazu die Überlegung, welches Echo ein deutsches Rocklabel hierzulande bekäme, das einen vergleichbaren Ruf im Ausland hätte. Zu dieser Einordnung muß auch gleich hinzugefügt werden, daß die beiden Labelbetreiber, Jonas Grossmann und David Moufang, trotz der besten Referenzen das Ganze durch Nebenjobs am Laufen halten. Wenn man sie besucht, sieht man also keine pumpende Maschinerie, sondern man sitzt mit ihnen auf dem Sofa in der Dachkammer; im Giebel ein Eckchen mit dem elektronischen Equipment, ein Computer und ein Sampler sind erst kürzlich dazugekommen. Hier wird die Musik gemacht. Sieht aus wie Lo-Fi und verhält sich zu dem Beck-Lou-Barlow-Daniel-Johnston-Kram – von wo aus Lo-Fi definiert wurde – ungefähr so wie Makrobiotik zum Vegetarismus. Das heißt, daß die Musiker hier nicht jenseits von Bandzwängen und Rockismen ihr Ego nähren, sondern daß sich diese Nahrung aus einem spirituellen Fundus ergibt, in dem so etwas wie ein Ego (im starken Sinn) noch nicht vorgesehen ist. Auf den Punkt gebracht: In der von Source veröffentlichten Musik läuft die psychedelische Linie der Popgeschichte mit Techno zusammen. Versuchen wir, das wieder etwas aufzudröseln.

„Für unsere Musik ist Techno nach wie vor die beste Bezeichnung. Obwohl wir einerseits mit der ganzen Rave-Kultur wenig zu tun haben und obwohl es andererseits natürlich eine Menge anderer Worte wie Ambient oder Abstract gibt.“ Das sagt David Moufang, und er erläutert: „Daß Techno der beste Name ist, hängt mit den Anfängen der Musik zusammen: Es begann klein und einfach, ein paar Leute überall in Wohnzimmern. Und insbesondere: Es herrschte Anonymität, es gab keine Stars, keine großen Namen. Wenn wir heute bei einem etwas größeren Festival spielen, dann ist das doch wieder so, daß oben die DJ-Kanzel ist, und unten stehen die Leute.“

Der Aspekt der Anonymität ist natürlich wichtig für jede Beschäftigung mit Techno. Von ihr gelangt man schnell zum Topos der Dezentralität oder dem des Untergangs des Autors. Schnell verliert man dann den Überblick der tausend Plateaus. Konkret heißt das in den meisten Fällen: Was sollen denn diese ganzen komischen Namen? David Moufang zum Beispiel ist in einige Projekte verwickelt: Als View to View hat er eine Platte mit Robert Gordon herausgebracht, dem legendären englischen Produzenten, ohne den es das inzwischen renommierte Sheffielder Warp- Label nicht gäbe. Als Reagenz spielt er zusammen mit Jonah Sharp, der in San Francisco das seelenverwandte Label Reflective betreibt; als Move D hat er kürzlich die CD „Kunststoff“ eingespielt; und als Deep Space Network firmiert er gemeinsam mit Jonas Grossmann.

Normalität ist der geheime Masterplan

„Es gibt hinter all dem natürlich keinen Masterplan, in dem die Bereiche der einzelnen Projekte abgesteckt sind. Die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Leuten resultiert hauptsächlich aus dem Wunsch, etwas zu lernen. Ob das jeweilige Projekt Folgen hat oder ob es nur bei einer Platte bleibt, ist vollkommen nebensächlich.“ Und Grossmann dazu: „Das ist es, glaube ich, was uns mit Jazz verbindet. Diese Normalität, mit der Leute sich zusammenfinden, um Musik zu machen, ohne sich aneinanderzuketten, aber immer mit dem Anspruch, daß man gemeinsam etwas voranbringt.“

Der Bezug zum Jazz ist aber nicht nur strukturell vorhanden, sondern einzelnen Platten auch anzuhören. Insbesondere ist dies der Fall bei der CD von Reagenz. Jazz wird hier nicht als Dekor oder gesampeltes historisches Fundstückchen benutzt, sondern zeigt den Versuch zweier Musiker, über losen rhythmischen Mustern aufeinander zu reagieren. Die Aufnahmen wurden dementsprechend live eingespielt. Daß hier ein Zwischenbereich betreten wird – einerseits der verschiedener musikalischer Traditionen, andererseits der von zwei miteinander agierenden Menschen –, zeigt sich sehr schön in Stücktiteln wie „ä“, „ö“ und „ü“. Das „Zwischen“ findet sich auf anderen Platten natürlich auch: hier als sehr organisch klingender Drumsound bei View to View, dort als analog klingendes Drumpattern, das von der digitalen Maschine übernommen wird, am Beginn der Move D-CD.

Jazz ist wesentlich das Improvisieren über musikalisch tradierten Formen. Keine Festlegung auf Sätze Strophen und Refrains. Was dort schon früh begann, hat in den Sechzigern die psychedelische Richtung der Rockmusik ausgelöst – gemeinsam natürlich mit anderen Stimulanzien. „Ich hatte das große Glück, mit tollen Platten aufzuwachsen: Pink Floyd und so weiter. Bevor ich ein Wort Englisch konnte“, erinnert sich Moufang, „hatte ich die Musik schon verstanden. Wahrscheinlich ist mir deswegen die Musik an sich so wichtig, jenseits ihrer Funktion als Trägerin irgendwelcher Inhalte.“ Eine Huldigung an diese Vergangenheit bildet die EP „Heavy Dose“ von Deep Space Network. Man hört eine Schlagzeugkaskade der frühen Pink Floyd, und wo die Quellen für Stücke wie „Om“ und „Number Nine“ liegen, muß nicht erklärt werden. „Diese Deutlichkeit wird es auf der nächsten Deep- Space-Network-Platte nicht geben, aber das war mal notwendig“, sagt Jonas Grossmann.

Psychedelisch verkleidete Vielfalt

Grossmann ist auch zuständig für das visuelle Erscheinungsbild des Labels, also für Cover, Booklets und Videos. Hier ist Source von Anfang an eine eigenwillige Schiene gefahren: Nicht die für Techno üblichen schwarzen oder weißen Cover, sondern jede Platte wird individuell gestaltet. Individuell heißt: keine Fotos von Musikern, sondern grafische Entsprechungen der Musik. Bei Reagenz oder Yoni, einem Londoner Duo, sind dies zum Beispiel Formen, zu denen man „Bewegung“ oder „Ewigkeit“ assoziiert. Bei der Compilation „Headshop“ mit den unterschiedlichen Haushaltsutensilien ist dies etwa „Vielfalt“. Das Besondere an diesen Covern ist aber ihr Abstraktionsgrad: Der assoziierte Begriff ist nicht Folge atmosphärischer Fülle, sondern eines einfachen und klar herausgestellten grafischen Elements. Diese Art der visuellen Umsetzung ist nicht nur den Augen angenehm, es zeigt sich darin noch einmal, daß Source kein als Techno verkleidetes Psychedelia-Revival verfolgt, sondern die Vergangenheit von der aktuellsten Position aus reflektiert: nicht nur nachschauen, was die Geschichte aus einem gemacht hat, sondern sehen, was man mit ihr anfangen kann.

Es ist gut möglich, daß der von Source eingeschlagene Weg so nur in Heidelberg einzuschlagen möglich war. Es gab hier keine Überväter und Platzhirsche. Hier mußte man niemandem etwas beweisen. So hat sich im Laufe der drei Jahre eine lockere Szene gruppiert. Sie reicht bis nach Mannheim, London und Kalifornien. Mittelpunkt ist die Dachkammer über der Galerie „Kunstraum“, für die ein „Kollektiv“ (Grossmann), der „Clan“ (Moufang) von acht Leuten die Miete bezahlt. Man teilt sich Sessel und Synthie, ebenso die DJ- und Kellnerjobs. Und wenn der, der früher hier gewohnt hat, zurückkommt, weil er aus seiner Wohnung raus mußte, „macht das auch keinen Unterschied“, so Moufang, „weil der auch Musik macht“. So verschieben sich die Erdplatten. Manchmal geraten sie ins Stocken, dann vibriert es ein bißchen in Heidelberg. Martin Pesch

Alle Source-Platten werden über Efa vertrieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen