: "Koalition nicht zum Nulltarif"
■ Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen ist für Krista Sager, Bundesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, ein Signal für die Bundestagswahl 1998 / Aber keiner soll glauben, die Bündnisgrünen würden dadurch
taz: Die rot-grüne Koalition in NRW steht. Johannes Rau sagt, sie trage „unverwechselbar die sozialdemokratische Handschrift“. Sind die Grünen eingeknickt?
Krista Sager: Wir haben uns in einigen wichtigen Punken nicht durchsetzen können, vor allem bei der ICE-Trasse zum Köln/Bonner Flughafen. Trotzdem kann man sagen, daß die Grünen ganz wichtige Ziele erreicht haben; zum Beispiel bei lokalen und regionalen Verkehrsvorhaben und im Energiebereich, unterhalb des großen Streitobjekts Garzweiler II. Es ist nicht so, daß die Grünen in NRW ein Opfer für die Bundesebene gebracht haben. Man kann auch unabhängig von der bundespolitischen Bedeutung diese Vereinbarung voll und ganz verantworten.
Ist den Grünen in NRW das Regieren wichtiger als das Durchsetzen einzelner Ziele? Joschka Fischer hat ihnen noch 1994 vorgeworfen, sie stellten unpraktikable Maximalforderungen.
Es hat eine ganz große Entwicklung hin zu einem belastbaren Pragmatismus durch die kommunale Ebene gegeben. Gerade auch die NRW-Grünen sind sehr konstruktiv in den kommunalen Vertretungen tätig. Darüber hat sich ein klarer Blick für die Kompromisse entwickelt, die man machen muß, um mehrheitsfähig zu sein.
Zu Garzweiler II gab es von den Koalitionspartnern ganz unterschiedliche Aussagen. Wird es Garzweiler geben oder nicht?
Ich denke, daß die Zeit, die jetzt bleibt, genutzt werden muß, um energiepolitisch umzusteuern und auch um in neuen Kategorien zu denken, was Strukturwandel und was moderne Energieversorgungspolitik angeht. Wenn man diese Zeit nutzt, dann kommt Garzweiler nicht. Es ist im Moment eine Denkpause, die in beide Richtungen genutzt werden kann. Ich würde die SPD sehr davor warnen, den erreichten Kompromiß zu unterwandern. Daran könnte diese Koalition auch scheitern.
Wie stabil ist das Regierungsbündnis?
Es wird ganz stark davon abhängen, ob das auch im Guten gemeinsam bewegt wird, was man vereinbart hat, oder ob es jetzt Versuche von Gegnern dieser Vereinbarungen geben wird, den Vertrag zu unterminieren. Das fürchte ich nicht aus den Reihen der Grünen, sondern aus denen der SPD. Es hat solche Versuche von einzelnen selbst nach Beendung der Verhandlungen, vor und am Rande der Parteitage gegeben. Von denen muß sich jeder auch der bundespolitischen Bedeutung im Hinblick auf 1998 bewußt sein.
Ist Johannes Rau ein Glücksfall für diese Koalition?
Es ist gut, daß er mitgeht, weil er doch eine große Integrationskraft in die SPD hinein hat. Aber es sollte niemand glauben, daß die bundespolitische Ebene für uns ein Argument wird, was uns in NRW grenzenlos erpreßbar macht, je näher 1998 rückt. Es sollte niemand glauben, daß, wenn 1998 nur nahe genug ist, die grünen Bundespolitiker scharenweise einfliegen werden, um den Nordrhein-Westfalen zu erklären, daß sie zum Nulltarif weitermachen sollen.
Die NRW-Grünen scheinen darauf zu setzen, daß es 1998 in Bonn sowieso eine rot-grüne Koalition geben wird, die dann auch das politische Geschäft in Düsseldorf erleichtern könnte.
Es ist eine Wechselbeziehung. Aber mit den derzeitigen Richtungsstreitereien und personellen Querelen der SPD auf Bundesebene ist 1998 sowieso noch nichts in trockenen Tüchern.
Wie bedeutsam ist die Koalition in Düsseldorf für eine rot- grüne Zukunft in Bonn?
NRW ist schon ein deutliches Signal dafür, daß die Ära Kohl nun tatsächlich zu Ende gehen kann. Ich hoffe, daß das die Störenfriede in der NRW-SPD diszipliniert.
Graben sich die Bündnisgrünen nicht selbst das Wasser ab, wenn sie die rot-grüne Reformperspektive im Bund an das Schicksal der Düsseldorfer Koalition binden?
Nein. Selbst wenn NRW scheitern würde, wäre die Frage, was passiert 1998 in Bonn im wesentlichen auch eine Frage der Arithmetik. Das heißt, wenn es für einen rot-grünen Machtwechsel reichen würde, könnte man diesen auch dann noch vollziehen. Aber es würde im Wahlkampf schwerer, die Chance für den Machtwechsel glaubhaft zu machen.
Was erwarten Sie jetzt von der Bundes-SPD?
Wir erwarten eine deutliche Aussage, daß man den Machtwechsel in Bonn will. Und den wird es nur mit uns geben. Ansonsten erwarten wir deutliche Signale dafür, daß man soziale und ökologische Reformen durchsetzen will. Dafür gibt es in dem NRW-Koalitionsvertrag schon wichtige Verweise auf die Bundesebene, etwa die ökologische Steuerreform. Interview: Karin Nink
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