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Handarbeit statt Abrißbirne

Ökologische Baustelle: Der alte Schlachthof in Friedrichshain wird per Hand „zurückgebaut“ / 90 Prozent des Abfalls sollen recycelt werden / Die Klinkersteine sind in Holland begehrt  ■ Von Jutta Geray

Zwischen zerfallenen roten Klinkergemäuern aus dem 19. Jahrhundert, aus denen hier und da bereits Büsche und Bäume herauswachsen, karren Menschen metallene Fleischerwägelchen hin und her. Sie ziehen die Wagen voller undefinierbarer Teile im Slalom um große Pfützen zu einer Reihe von Containern und Kisten. Die sind mit Aufschriften wie „Aluminium“, „Eisenleisten“, „Stahlleisten“, „Styropor“, „Elektrokabel“, „Kupfer“ oder „Blei“ versehen. In einer reichlich baufälligen Halle klopft ein älterer Mann, nur mit dem Hammer bewaffnet, einen alten Motor auseinander. Vier andere Männer reißen Isoliermaterial von den Wänden.

Was anachronistisch aussieht, ist in Wirklichkeit eine ökologische Baustelle. In Handarbeit zerlegen hier in Friedrichshain fast einhundert ArbeiterInnen Stück für Stück den einst modernsten und größten Vieh- und Schlachthof Europas, der 1881 vom Berliner Architekten Blankenstein errichtet wurde. Den Abriß des Geländes, mit Ausnahme einiger unter Denkmalschutz stehender Hallen, beschloß der Senat 1991. Bis zum Jahr 2004 soll hier ein „zeitgemäßer, lebendiger Stadtteil“ entstehen, mit Wohnungen, Einkaufszentren, Erholungsstätten, Schulen sowie Gewerbehöfen.

Nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde der Schlachthof in der DDR wieder aufgebaut und als sozialistisches VE Fleischkombinat betrieben. Nach der Wende fristete er noch ein kurzes unrentables Dasein als kapitalistische GmbH. Dann folgte das Todesurteil für den Hof, und im April diesen Jahres begannen die Bauarbeiten zur Demontage der Hallen. Doch nach einer Baustelle mit Bagger, Kran und Abrißbirne sucht man vergeblich. In einer erst in den letzten Jahren der DDR errichteten Halle, die mit ihren weißen sauberen Kacheln wie neu aussieht, stehen Frauen und Männer an großen Arbeitstischen und zerlegen mit Schraubenzieher, Zange und Hammer elektrische Maschinen oder Kühlaggregate, die nicht mehr wiederverwendet werden können. Pingelig werden die Einzelteile nach Wertstoffen sortiert.

Wohin welcher Wertstoff kommt, ist mit großen Pfeilen an die Wänden geschrieben: Hier Kühlgerate, dort Holzpaletten, daneben wiederverwendbares Bauholz. In den schon zerfallenen roten Klinkergemäuern wirkt so viel Ordnung fehl am Platz, hat aber durchaus seinen höheren Sinn: „Ökologischer Rückbau“ nennt sich die Methode der Gesellschaft für Umwelt, Verkehr und Energie (UVE).

Nach der Devise „so wenig Abfall wie möglich“, verfährt die UVE ganz anders als herkömmliche Abrißfirmen, erläutert Ingeneurin Ursula Brücke. Statt die Gebäude erst mit dem Baggereinzureißen und dann den Schutt nach „Sondermüll“, Schutt für die Deponie und recycelfähigem Material zu sortieren, werden alle wiederverwendbaren Teile sorgfältig demontiert. Wiederverwendbares Material wird im nächsten Schritt in seine einzelnen Wertstoffe getrennt, sortiert und an die Recyclinghöfe verkauft, denn „je besser die Materialien sortiert sind, desto mehr Gewinn bringen sie beim Verkauf ein“, weiß Ingenieurin Brücke.

Erst nach völliger „Entkernung“ der Gebäude werden die Wände eingerissen. Doch selbst hier ergeben sich noch Möglichkeiten der Wiederverwertung. Sollten sich Abnehmer für die einmaligen Berliner Klinkersteine finden – und Brücke berichtet von großem Interesse vor allem aus Holland –, werden auch die Mauern von Hand zurückgebaut, die Steine gewaschen und verkauft. Von der modernsten Halle des Geländes kann fast alles wiederverwertet werden: wärmegedämmte Türen, Stahlträger, fast neuwertige Fenster, Isoliermaterial von den Wänden, weiße Kacheln oder Mauersteine. Aber auch die anderen, größtenteils baufälligen Hallen sind eine Fundgrube an wiederverwendbaren Gebrauchsgegenständen. Nahezu Antiquitäten sind beispielsweise die überdimensionierten Straßenlaternen, die noch an den Außenwänden hängen. Ornamente von den Fassaden sollen dagegen den zentralen Park des geplanten Stadtviertels zieren.

Nur vier Prozent des gesamten Materials werden als Abfall auf der Deponie als Sondermüll und gemischter Schutt landen, rechnet UVE-Ingenieurin Brücke. Fünf bis zehn Prozent, schätzt Brücke, können als Gebrauchsgegenstände oder Baumaterial wiederverwendet werden. Etwa 90 Prozent könnten dann wiederverwertet werden.

Trotz höherer Lohnkosten durch die zeitraubende Handarbeit senkt der ökologische Rückbau die Kosten: Das Projekt am Schlachthof soll um ein Viertel billiger sein. Dies liege, so Brücke, an den hohen Kosten, die Deponien inzwischen für gemischten Bauschutt verlangen, und an den Erlösen durch den Verkauf der Wertstoffe.

Spaß zu machen scheint den 96 ehemaligen Arbeitslosen, die vom Arbeitsamt an die UVE vermittelt wurden, die ökologische Variante der schweißtreibenden Bauarbeit allemal. Daß auch zehn Frauen in dem sonst eher frauenfeindlichen Bauarbeitergewerbe bei der UVE Platz fanden, ist für Brücke ein weiterer Pluspunkt des Projekts. Ohne weiteres ließen sich Frauenarbeitsplätze einrichten, denn der Rückbau fordere weniger körperliche Schwerstarbeit, als vielmehr Feinarbeit und Köpfchen beim Sortieren.

Wer sich im UVE-Baubüro in der Thaerstrasse 31 anmeldet, darf sich aus dem reichhaltigen Fundus von Bauholz, Elektrokleinteilen, Türen und Fenstern das Passende zu Billigpreisen aussuchen.

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