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Die Perfektionistin tut, was sie will

Wimbledon ist nicht mehr, was es angeblich war: Während Steffi Graf immer besser Tennis spielt, produzieren andere Stoff für Krimis, verschwinden Menschen oder werden beleidigt und verteidigt  ■ Aus Babel Matti Lieske

Ziemlich einig waren sich die Spielerinnen und Spieler, die die dritte Runde überstanden hatten, in ihrer Einschätzung der zweiten Wimbledon-Woche. Jetzt beginnt ein neues Turnier, hieß es unisono. So scheint es in der Tat, und dies nicht nur, weil sich die Sonne mittlerweile selten blicken läßt und die verweichlichten Bälle bei kühleren Temperaturen endlich ihre Pflicht tun: sie fliegen langsamer. Nur schade, daß die ganzen Aufschlagberserker, die von den veränderten Bällen gebremst werden sollten, bis auf Ivanisevic ausgeschieden sind.

Die gesamte Atmosphäre von Wimbledon hat sich verändert. Glich die Anlage in den ersten Tagen noch einem Ameisenhaufen, der gerade von einem Ameisenbären zum Restaurant des Monats erkoren wurde, hat sich die Hektik mittlerweile gelegt. Auf den Außenplätzen spielen nicht mehr Sabatini, Medwedew, Kafelnikow oder Fernandez ihre Einzel, sondern es gibt Doppel und Mixed zu sehen, Oldtimer vom Schlage eines Niki Pilic, Manuel Santana oder Ken Rosewall und beim Juniorenturnier die Stars der Zukunft. Die 13jährige Russin Anna Kournikowa etwa, die bereits ein erstaunliches Schlagrepertoire und, ungeachtet ihrer Winzigkeit, einen beherzten Aufschlag besitzt, so trotzig-entschlossen dreinschaut wie Steffi Graf im selben Alter und schon fluchen kann wie ein besonders niederträchtiger Kosak.

Gelassen schlendern die Menschen umher, bleiben hier und da stehen oder setzen sich hin, um ein Match in Ruhe anzuschauen. Keine Spur mehr von jener gelinden Panik in den Gesichtern, der permanenten Furcht, etwas ungeheuer Wichtiges und Spektakuläres zu verpassen, dem unwiderstehlichen Drang, kaum, daß man sich niedergelassen hat, wieder aufzuspringen, und anderswo sein Glück zu versuchen. Schließlich spielen sich die wahrhaft wichtigen Dinge, die Viertelfinalspiele im Einzel, nur noch auf zwei Plätzen ab, jederzeit überschaubar und perfekt einzuplanen.

Bei den Frauen waren sie zudem auch noch relativ schnell beendet. Ohne übergroße Mühe erreichten die ersten vier der Setzliste das Halbfinale, was die Kluft verdeutlicht, die die besten Spielerinnen vom Rest trennt. Überraschend allein die Rasenplatzfortschritte von Arantxa Sanchez-Vicario, die man in Wimbledon gelegentlich sogar in Netznähe erwischen kann und die mit dem 6:4, 7:6 gegen die aufschlaggewaltige Niederländerin Brenda Schultz-McCarthy erreichte, was sie sich vorgenommen hatte: in Wimbledon endlich mal das Viertelfinale zu überstehen. Heute trifft sie auf ihre Landsfrau Conchita Martinez, die gegen Gabriela Sabatini alles andere als souverän spielte. „Spannend war es ja“, kommentierte Steffi Graf stirnrunzelnd, „aber vom Niveau her nicht doll.“ Besonders der erste Satz wimmelte von beiderseitigen Fehlern, und Sabatini spielte erst gut, als sie bereits 5:7, 1:5 zurücklag, um dann den Tie-Break doch zu verlieren.

Das zweite Halbfinale bestreiten Steffi Graf und die Tschechin Jana Novotna, die, wo sie geht und steht, auf die herzzerreißenden Szenen von vor zwei Jahren angesprochen wird, als sie im Endspiel gegen Graf klar führte, dann Nerven und Match verlor und sich an der Schulter der Herzogin von Kent ausweinte – eine Szene, die sogleich Eingang in den Thriller „Spiel, Satz und Tod“ von Martina Navratilova fand. Novotna hatte beim 6:2, 6:3 gegen Japans Liebling Kimiko Date wenig Mühe und behauptet, daß die Erinnerung an 1993 keine Rolle mehr spielt: „Es wird großartig sein, wieder auf dem Centre Court zu stehen und gegen Graf zu spielen.“

Mary-Joe Fernandez war dieses großartige Erlebnis im Viertelfinale vergönnt. Sie verlor 3:6, 0:6 und schaffte im zweiten Satz sieben Punkte. Graf spielte dabei ein Rasentennis, das sie selbst als „perfekt“ bezeichnete, was bei einer ausgewiesenen Perfektionistin durchaus im Wortsinn zu verstehen ist. Besser ginge es nicht, meinte sie, „ich hatte das Gefühl, alles tun zu können, was ich wollte“. Ob sie geschlagen werden könne, wenn sie so spiele? Antwort: „Nein.“ Bleibt die Frage, ob denn auch alle Spielerinnen zum Halbfinale erscheinen werden, eine Sache, bei der man sich inzwischen nicht mehr sicher sein kann. Vielleicht sollte Martina Navratilova weniger Krimis schreiben, in denen es um verschwundene und malträtierte Tennisprofis geht (siehe: „Was immer noch fehlt“).

Daß die allgemeine Gelassenheit bei diesem turbulenten Wimbledon-Turnier die Spieler noch nicht erreicht hat, zeigte sich jedenfalls beim Doppel der australischen Titelverteidiger Woodforde/ Woodbridge gegen ihre Landsleute Philipoussis/Rafter. „Warum hältst du nicht endlich die Klappe“, rief Todd Woodbridge der Freundin von Patrick Rafter zu, die daraufhin ihre lautstarke Unterstützung komplett einstellte und wütend den Platz verließ. Nachdem die „Woodies“ mit 6:2, 1:6, 6:2, 7:6 gewonnen hatten, drohte Rafter seinem Daviscup-Kollegen mit dem Schläger und brüllte: „Rede nie wieder so mit meiner Freundin.“ Doch Woodbridge blieb unbeugsam: „Die war ja bloß sauer, weil ihr Beau verloren hat.“ In der Kabine wäre es dann um ein Haar zu Handgreiflichkeiten gekommen. Navratilova, übernehmen Sie!

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