: Keine Abrißbirne in den Reichstag
■ Nach der Verhüllung folgt nun die Entkernung: Beim Umbau des Reichstags wird die komplette Innengestaltung des Architekten Baumgarten aus den sechziger Jahren entfernt / Architekt Michael Wilkens hält die
Ab heute wird der Reichstag wieder enthüllt. Der Umbau des Gebäudes soll beginnen. Von einem „Neubeginn“ ist die Rede. Übersehen wird, daß dies auf Kosten des Innenausbaus des Architekten Paul Baumgarten geschehen soll, der den Reichstag in den sechziger Jahren im Stil einer bescheidenen Moderne umgebaut und erneuert hat. Nach den Plänen des Bundes soll diese Epoche aus dem Reichstag verschwinden.
Der Architekt Michael Wilkens gehörte damals – als junger Praktikant – zum Team von Baumgarten und ist jetzt Professor für Architekturtheorie und Wohnungsbau an der Gesamthochschule Kassel. Er ist Mitbegründer des Teams „Baufrösche-Kassel“, das sich mit dem Umgang mit alter Bausubstanz und deren Erneuerung einen Namen gemacht hat.
taz: Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen der Reichstagsverhüllung von Christo und dem geplanten Abriß, der totalen Entkernung der von Paul Baumgarten geschaffenen Innenarchitektur für den Reichstag aus den sechziger Jahren?
Michael Wilkens: Nein. Die Verhüllung bringt vielmehr etwas zum Ausdruck, das einer alten Idee Paul Baumgartens nahe kommt: nämlich eine gewisse Heiterkeit im Umgang mit solchen Symbolen.
Wie würden Sie es denn bezeichnen, was dem Reichstag nach der Enthüllung blüht?
Die Abrißbirne gehört nicht in den Reichstag. Warum glaubt man, nur mit ihr eine neue Epoche am Gebäude und in großen Teilen der Berliner Mitte durchführen zu können? Von diesem Instrument sollte man sich in Berlin generell verabschieden.
Welche Haltung steckt in der Architektursprache Baumgartens? Welche Bedeutung könnte sie für einen Bundestag in Berlin haben?
Baumgarten hatte in der Zeit des Nationalsozialismus als Architekt gebaut. Diese Vergangenheit suchte er zu überwinden. Der moderne Musiksaal für die Hochschule der Künste (HdK) war wie ein baulicher Befreiungsschlag gegen den Muff und das Weiterwirken der Nazizeit.
Der Reichstag bedeutete eine Herausforderung, leichte Linien, Horizontalen und verschiedene Nutzungsebenen in das mächtige dunkle Gemäuer hineinzubauen. Es entstand der große offene Plenarsaal, der später entstellt wurde. Ursprünglich war der Raum durch eine Helligkeit, leichte Sperrholzmöbel und die Heiliger-Plastik hinter der Glaswand geprägt.
Diese Haltung täte den schweren Mauern auch heute noch gut. Statt nach der Vereinigung einzuziehen, sich auf die Stühle zu setzen und loszuarbeiten, kommt eine unselige Kuppeldiskussion auf. Die Idee einer Fabriketage für ein Parlament war besser.
Der Plenarsaal als Fabriketage entspricht doch nicht der Funktion und dem Verständnis für einen Bundestag 2000. Die Arbeit wird in den Ausschüssen getan, der Plenarsaal ist die Bühne für acht bis zwölf Sitzungen.
Auch die wenigen Plenarsitzungen sollten die Funktion und den Charakter einer offenen und öffentlichen Arbeit widerspiegeln. Ich war immer für ein „Low-Cost- Parlament“. Die Arbeit schafft die Räume.
Die Kuppel wird aber keine Rekonstruktion der Wallot-Kuppel von 1894. Fosters Idee einer Öko- Kuppel hat doch durchaus etwas Zeitgemäßes. Könnte sie nicht auch ein Symbol eines modernen Parlaments werden?
Norman Foster ist ein Meister in der ökologischen Bemäntelung von Repräsentationsbauten. Seine Kuppel- und Umbaupläne machen aus dem bewußt ausgehöhlten Reichstag wieder ein zentralistisches Machtsymbol, dessen Umbau 600 Millionen kosten soll.
Öffnet nicht auch die Architektur Fosters den Reichstag, indem er ihn transparenter, einsichtiger macht? Bedeutet das nicht eine Weiterentwicklung Baumgartens?
Es findet kein Umgang, keine Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen statt. Baumgarten wird also nicht fortgeschrieben.
Geht es nach dem Willen der Bundesbaugesellschaft, die den Umbau koordiniert, soll von den Einbauten so gut wie nichts bleiben. Immerhin wird Dokumentation zur Erinnerung erstellt werden. Was halten Sie davon?
Das ist doch die typische Geste, die zur Abrißbirne gehört. Man nimmt ein paar alte Teile und macht Reliquien daraus. Damit hat man sie beerdigt.
Ein gutes Beispiel für den Umgang mit der alten Bausubstanz und moderner Weiterentwicklung ist etwa der Entwurf des Berliner Architekten Ludwig Leo für die Akademie der Künste am Pariser Platz. Alle Schichten des Bauwerks werden für die neuen Zwecke verwandt, umgebaut und so ein modernes Haus geschaffen.
Möglicherweise soll auch ein ganzer Raum aus den sechziger Jahren erhalten bleiben.
Die Aktion klingt nach einem Alibi-Baumgarten-Museum. Lächerlich. Interview: Rolf Lautenschläger
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