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Langer Samstag in der City Von Klaudia Brunst

„Darf man jetzt nun oder nicht?“ meinte meine Freundin letzten Samstag und reichte mir entnervt die taz über den Frühstückstisch. „Also wenn ich das richtig verstanden habe“, versuchte ich mich nach der Lektüre der Meinungsseite an einer knappen Zusammenfassung, „dann sagt Elmar, man darf nicht – selbst wenn es Spaß macht. Und Jan findet, man muß – selbst wenn man sich dabei die Finger schmutzig macht.“ – „A propos Spaß“, meinte daraufhin meine Freundin, „heute ist übrigens auch langer Samstag. Dürfte man das denn?“

Letztlich sind wir dann wirklich auf den Ku'damm gegangen, aber natürlich doch zum Christopher- Street-Day. Denn gerade als wir ins KadeWe wollten, kam unser schwuler Freund auf uns zugerannt und meinte atemlos: „Wißt ihr auch nicht, wo ihr mitlaufen sollt?“ Hinter den Schwerlastern der Homobars ginge nicht. „Schließlich will man ja nun wirklich nicht sein gesamtes kritisches Bewußtsein preisgeben. Soll Kraushaar jedenfalls in der taz geschrieben haben.“ – „Das war nicht in der taz, das war in einem BVH-Fundi-Flugi“, meinte ich gekränkt. „Bei uns stand die SVD-Realo-Position.“ – „Egal“, meinte er und insistierte, sich nun endlich politisch korrekt in den Zug einzureihen. „Vielleicht der BVH-Wagen?“

Wir waren dann doch sehr erstaunt, daß der fundamentalistische Schwulenverband trotz des Kraushaar-Flugis auf dem CSD erschienen war. „Die taz lügt also doch!“ meinte mein schwuler Freund, und jetzt war ich wirklich derart gekränkt, daß ich kurz erwog, mich doch ins KadeWe abzusetzen. Letztlich wollte ich dann aber doch lieber mitdiskutieren, wo wir uns jetzt einreihen würden: Die riesigen Tieflader fielen auch aus akustischen Gründen aus. Hinter dem Wagen der Aids-Hilfe herzulaufen erschien uns irgendwie anschleimerisch. „Da hätten wir vorher wenigstens mal spenden müssen“, meinte meine Freundin leicht errötend, und die auf dem GEW-Wagen hockende Tunte schreckte wiederum unseren schwulen Freund ab: „Lehrer im Fummel. Also dafür bin ich nun nicht auf die Straße gegangen!“ schnappte er angewidert. Ein Kompromiß wäre sicher der kleine Laster des Frauenkulturzentrums „Begine“ gewesen. Da war es nicht zu leise, nicht zu laut, nicht zu bunt und nicht zu politisch-ernst. Aber hinter dem Begine-Wagen waren Schwule nicht unbedingt erwünscht, und die Spaltung unserer kleinen Einheit wollten wir keinesfalls riskieren. „Man, seid ihr Kleinbürger!“ meinte meine Nachbarin, als sie uns mit freiem Oberkörper vom Sozius einer dike-Harley heruntergrüßte. „Reiht euch doch irgendwo ein, heute ist großer Familientag.“ Dann startete ihre Fahrerin kräftig durch und wir Kleinbürger waren mit unserem Problem wieder allein.

„Und wie wäre es mit dem ,Vorspiel‘-Wagen?“ meinte ich vorsichtig. „Das ist immerhin Breitensport und also völlig unpolitisch, aber gesund, und die Cheerleaders mit ihren Puscheln machen sogar was her.“ Während wir noch darüber debattierten, ob die Puscheltruppe jetzt für den BVH doch zu bunt und zu fröhlich wäre, kam meine Freundin aus dem KadeWe zurück. „Ich glaube, ich habe gerade Elmar in der Herrenabteilung gesehen“, meinte sie. „Vielleicht sollten wir doch endlich der BVH- Linie folgen. Drinnen ist es auch viel kühler.“

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