Zwischen den Rillen: Öfters abbestellt
■ Sisters are doin' it: Kendra Smith, J. Napolitano und Jennifer Trynin
„Five Ways of Disappearing“ heißt ihre zweite Soloplatte, und das ist passend gewählt, denn Zeit ihres Musikerinnenlebens machte Kendra Smith eine Kunstform daraus, Bands und Projekte zu verlassen, wenn sie drohten, allzu erfolgreich zu werden. Das begann Anfang der 80er, als sie für eine und noch eine halbe Platte den Bass bei den Los Angelinos Dream Syndicate spielte. Später eröffnete sie mit Dave Roback, der zuvor bei Rain Parade LSD und Rotwein noch ausführlicher zugesprochen hatte, eine Filiale namens Opal, die sie als Sängerin mitten in einer Tournee verließ. So hatte sich Smith einen Kult zementiert, Roback ersetzte sie durch Hope Sandoval, mit der er nun als Mazzy Star übers MTV huscht. Smith hat seit damals eine 30-Morgen- Farm für sich gefunden, viel Gemüse und eine alte Orgel. Tourneen sind wegen Ernteverpflichtungen nicht möglich.
Wer sich so vor der Welt und ihren Forderungen versteckt, findet auch musikalische Möglichkeiten, zu verschwinden. Die dominante Rolle schiebt Smith weitgehend ihrer Orgel zu, ihre Stimme bleibt ein Gespinst, das auf Tastendruck leicht zerreißt. Und doch bleibt ihre Stimme emotionslos, zitterfrei. Mit einer Noblesse und nonchalanten Schicksalsergebenheit, wie man sie zuletzt von Nico gehört hat, singt sie Texte, die sich – ganz altmodisch – in Assoziationen und Andeutungen ergehen, sich völlig auf den Bauchnabel zurückziehen, ohne auch nur einen unverschleierten Blick auf ihn freizugeben. Sie und/oder die anderen Frauen in ihren Texten fliegen „lighter than air“ durch das „valley of the morning sun“ oder auch „into the night“, wo sie sich fragen, „where do I begin and end in space“.
Zwar umwinden die Lebenswege von Smith und Johnette Napolitano einander, aber mehr Trennendes als Verbindendes ist den beiden Frauen nach all den Jahren geblieben. Auch Napolitano war zu Beginn der 80er in L.A. zugegen, sicherlich benutzte man hin und wieder Spiegel und Rasierklinge gemeinsam. Auch Napolitano spielte Bass und sang, so auch einmal Background auf einer Dream- Syndicate-Platte, als Smith schon längst woanders war. Doch während Smith sich verweigerte und schneller den Soloprozeß entdeckte, quälte sich Napolitano durch ein Jahrzehnt Concrete Blonde, einen stabilen Bandzusammenhang und unverhältnismäßige Erfolgshoffnungen wechselnder Major-Labels, was dazu führte, daß jede Platte ein wenig schlechter war als die vorangegangene. Das schlicht „Concrete Blonde“ betitelte Debut von 1986 bleibt ihre beste Platte, aber von dieser Stimme kann man nie genug kriegen. Eine Stimme, die zielsicher immer den Weg zwischen Intimität und Kitsch findet, eine Stimme, die alles kann, aber gerade soviel macht, wie notwendig ist, eine Stimme, die sämtliche Rockklischees wiederholt, sie nicht einmal aushebelt dabei, aber einen alle theoretischen Bedenken vergessen läßt und ein immer noch allerletztes Mal an alles glauben läßt, wofür der Rock 'n' Roll, je nach persönlichem Standpunkt, jemals herhalten mußte.
Erstmals ohne ihre Band und statt dessen im Duo mit der Gitarristin Holly Vincent, macht Napolitano auf „Vowel Movement“ einige Schritte nach hinten und nur wenige nach vorn. Gleich der Opener „Dinosaur“ trampelt so verzweifelt gitarrenlastig, als würde sie sich verschämt an ihre Vergangenheit erinnern. In nahezu allen Songs wird auf eine Popstruktur verzichtet, der Stimme Raum geschaffen, damit sie Kontakt suchen kann zum Hörer, der, wenn er denn zuhört, die Person dahinter greifen zu können scheint. Vincents Gitarre bemüht sich um den psychedelischen Exzeß, schmiegt sich aber eher begleitend denn kommentierend an die Stimme und kann sich in ihrer repetitiven Eintönigkeit kaum selbst genügen.
Auch wenn die Entwürfe von Smith und Napolitano zum Alteisen gehören (weil sie noch aus einer rockmusizierenden Generation stammen, in der Frauen vom Vorzeigeblondchen zur Selbstverständlichkeit wurden), bleiben diese Platten doch unüberhörbar, weil beide inzwischen souverän genug sind, etwas abzuliefern, was man bei Männern bewundernd Alterswerk nennt. Unbeleckt von Rrriot Girls führen sie im mehr oder weniger Privaten weiter, was sie ganz persönlich von Rockmusik wollten.
Die ihnen nachfolgen, haben es ein wenig einfacher – so auch Jennifer Trynin. Die Frau aus Boston paßt mit ihrem Debut „Cockamamie“ zumindest musikalisch in die weibliche Phalanx, die sich inzwischen selbstbewußt und selbstverständlich zwischen Alternative Rock und Folk gebildet hat. Immer bemüht um rhythmische Abwechslung und poprocktechnisch vollständig kompatibel, überhört man bei Trynin fast Texte, die zwar des öfteren explizit werden, aber weder so berechnend wie bei Liz Phair noch so waidwund selbstbezogen wie bei PJ Harvey sind. Während sich die eingängige musikalische Umsetzung fast zu leicht verfügbar macht, sind die Frauen in Trynins Texten Handelnde, die sich die Männer verfügbar machen und der Selbstreflexion keinen allzu großen Raum geben. Ob nun „loser“ oder „fuck“ oder sonst irgendein „other guy“, sie alle schwirren um die Frauen, werden angefordert, auch mal gebraucht zum Anlehnen, öfters abbestellt und sollen vor allem nicht glauben, daß ihnen irgendwas zusteht. Beschlossen wird die Platte von „Do It Alone“, einem gesungenen Testament: Würde sie sterben, solle er nicht vergessen, die Katze zu füttern, die Zeitung zu holen und auch mal die Betten abzuziehen – Hauptsache, er macht seinen Scheiß allein. Thomas Winkler
Kendra Smith: „Five Ways of Disappearing“ (4AD/RTD)
Johnette Napolitano & Holly Vincent: „Vowel Movement“ (Mammoth/Rough Trade Imports)
Jennifer Trynin: „Cockamamie“ (Squint/Warner)
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