Der EU-Beitritt Polens hängt von Polen ab

■ Zum Auftakt seines Polenbesuchs sprach Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem Parlament in Warschau / Dabei machte er dem Nachbarn keine Versprechungen

Warschau (taz) – Wladyslaw Bartoszewski, der Außenminister Polens, wird wohl recht behalten. Der Bundeskanzler, so mutmaßte er kurz vor Beginn des dreitägigen Besuchs von Helmut Kohl in Polen, werde kein konkretes Datum für den Beitritt Polens zur Nato nennen können, ohne sich vorher mit dem amerikanischen Präsidenten abzustimmen. Aber, so Bartoszewski weiter, der Kanzler könne „die deutsche politische Unterstützung versprechen“.

Zumindest bei seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem polnischen Parlament am gestrigen Spätnachmittag hat der Kanzler kein Beitrittsdatum genannt, das Thema aber in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt. „Das demokratische, rechtsstaatliche Polen“, so Kohl, „hat ganz natürlich seinen Platz in der EU.“ Zu weitergehenden Aussagen ließ der Kanzler sich dann aber nicht verleiten. Der Beitritt werde nicht „über Nacht und nicht umsonst“ zu erreichen sein. „Die Hauptlast der Transformation und Reform“ werde Polen selbst zu tragen haben. Somit gilt: Das Datum des Beitritts haben die assoziierten Partnerstaaten mit in der Hand. Es könne nicht darum gehen, zusätzlichen Zeitdruck zu schaffen. Wer die Komplexität der Aufgaben unterschätze, nehme das Risko des Scheiterns auf sich.

Ähnliches gilt laut Kohl auch für den Beitritt Polens zur Nato. „Deutschland unterstützt den Wunsch Polens und anderer junger Demokratien, Mitglied des Nordatlantischen Bündnisses zu werden.“ Der Kanzler betonte, daß die Aufnahme Polens in die Nato und die EU in einem „inneren Zusammenhang“ stünden, dies aber nicht bedeute, daß sie zur gleichen Zeit erfolgen müßten. Damit räumte Kohl ein Mißverständnis aus, das in den letzten Tagen in Polen für Aufregung gesorgt hatte. Der „innere Zusammenhang“, den Kohl bereits in einem früheren Interview herausgestellt hatte, war als Junktim aufgefaßt worden, das die Aufnahme Polens in die Nato verzögern sollte. In Polen aber gehen die meisten Politiker davon aus, daß das Land in den nächsten fünf bis zehn Jahren zunächst in die Nato und dann in die EU aufgenommen wird.

Kohl mahnte in seiner Rede in diesem Punkt jedoch zur Geduld. Darüber hinaus sei der Reformprozeß in Rußland ein entscheidender Faktor für eine positive Entwicklung in Europa. Rußland müsse in die neue Sicherheitsarchitektur einbezogen werden. „Kein Staat“, und damit dürfte der Kanzler sowohl Deutschland als auch Rußland gemeint haben, „kann es einem anderen verwehren, Mitglied eines Bündnisses zu sein oder es nicht zu sein.“ Es habe aber auch kein Staat das Recht, andere Staaten als Sicherheitsglacis zu behandeln. Heute wird der Bundeskanzler mit Staatspräsident Lech Walesa und Vertretern der deutschen Minderheit zusammentreffen. Gabriele Lesser