Adventskränze: Die Rettung

Ehrengard Häfner rettete den ehemaligen Familienbetrieb „Rhönmetall“ durch die Wendezeiten / Am meisten aus den Tiefschlägen gelernt  ■ Von Heide Platen

Die Technologie- und Innovationsberaterin in Gera ist begeistert: „Das ist die richtige Frau für Sie, das ist eine, die vorangeht!“ Unternehmerin sollte die Gesuchte sein, erfolgreich in den neuen Bundesländern, und das, „bitte sehr, in einer klassischen Männerdomäne“. Das alles trifft auf Ehrengard Häfner zu – und einiges mehr. Die „Rhönmetall“ hat ihr neues Produktions- und Verwaltungsgebäude im Gewerbegebiet von Dermbach in der südthüringischen Rhön inmitten üppigster Landschaft im Frühjahr 1994 eingeweiht. Die Firma war vor der Wende der viertgrößte Arbeitgeber für den 3.000-Einwohner-Ort. Das Glaswerk und die Korbwarenfabrik sind geschlossen worden. Mit „Rhönmetall“ hat Häfner in mehreren Anläufen einen neuen Anfang gewagt und ihn, dessen ist sie sich heute sicher, auch geschafft. Die Rhönmetall produziert und vertreibt Kabelkanäle für Licht- und Datenleitungen, Sonderleuchten sowie Lichtrohrsysteme. Die umgebogenen Metallschienen wirken äußerlich zunächst unscheinbar, lassen aber, in Tagungshäuser und Funktionsräume eingebaut, „alle Strippen“ praktisch und dekorativ verschwinden. Ihre Spezialitäten dabei sind außer Formschönheit und moderner Farbgebung die präzise Maßarbeit und die Sonderanfertigungen für ausgefallene bauliche Gegebenheiten und Architektenwünsche. Da müssen Lieferungen manchmal blitzschnell gehen und dabei doch von hoher Qualität und paßgenau sein, Firmenslogan: „Ihr Problem ist unsere Chance“. Damit hat Häfner die Marktlücke gefunden, die der gelernten Industriekauffrau eine Zukunftsperspektive bietet, denn die Zeichen lassen hoffen. Nach der Wende war der Betrieb auf gerade mal 19 Arbeitsplätze geschrumpft, heute arbeiten wieder 48 Beschäftigte in drei Schichten: „Wir sind noch nicht auf Rosen gebettet, aber die Auftragslage ist gut.“ So gut, daß sie auch schon Arbeit an Zuliefererfirmen aus der Region vergeben kann, zum Beispiel an eine Schreinerei, die den patentierten Clou des Unternehmens auf Wunsch auch mit Edelholz repräsentativ chefetagenfähig macht.

Zwar hat der Betrieb längst noch nicht wieder die Dimensionen, für die Ehrengard Häfner vor der Wende verantwortlich war. Als Jungverheiratete ist die heute 54jährige „Jungunternehmerin“ als gelernte Industriekauffrau in den Metallbetrieb des Schwiegervaters gekommen und hat die Produktion von der Pieke auf kennengelernt. Als der Schwiegervater starb, übernahm sie die Leitung. 120 MitarbeiterInnen hatte der Betrieb damals. Sie überstand die Verstaatlichung als Geschäftsführerin, doch nach der Wende drohte das Aus. Zäh und verbissen hat sie sich an den ehemaligen Familienbetrieb geklammert, seine Rückgabe schon 1989 in Angriff genommen und dann „eigentlich mit brachialer Gewalt“ durchgesetzt. Damals waren alle „voller Enthusiasmus und Schwung“ – und doch landeten sie in der Krise. Die damaligen Mitinhaber aus der Belegschaft sind inzwischen „eins zu eins“ ausgezahlt. Ehrengard Häfner kämpfte, probierte und verlor, als sie auf ihrer Meinung nach eigentlich „so sichere Produkte wie Fahrradketten“ setzte. Tränen gab es dann, als sie nach einem Notnagel griff, „vom Schweißgerät auf die Klebepistole“ umstellte und mit 60 Frauen begann, aus Kiefernzapfen Adventskränze zusammenzukleben, die „für'n Appel und 'n Ei“ an Versandhäuser verkauft wurden. Das war „eine schlimme Zeit“, weil die Arbeit so gar nicht den Qualifikationen der „Stanz- Frauen“ entsprach. Aber sonst, meint sie, „wären wir weg vom Markt gewesen“. Nebenher gab es immer wieder Versuche „mit Metall“: Sackkarren, Gerüstböcke, eben „alles mögliche“. Heute weiß sie, daß sie damals auf vieles reingefallen ist, „viel zu gradlinig und vertrauensselig“ war. Vom Fenster aus sieht Häfner geradewegs auf eine ihrer Niederlagen. Da steht eine unverputzte Halle aus DDR-Zeiten, die sie kaufen wollte und in deren Ausbau sie Geld und Arbeit steckte, ehe sie ihr „einfach weggeschnappt wurde“. Heute stört sie der Anblick nicht mehr und sie kann „darüber auch schmunzeln“. Diese Erfahrung sei eben, wie andere auch, „Lehrgeld“ gewesen: „Ich mußte meine Fehler einfach machen, um Erfahrungen zu sammeln.“

Ihre „Nische“ fand sie, als sie auf der Familienfeier einen der „alten“ Meister, ihren heutigen Kompagnon Alfred Hermann, kennenlernte. Der vertrieb Kabelschächte für andere Produktionsfirmen und hätte doch lieber seine eigenen Konstruktionsideen realisiert. Sie hatte die Fabrik und die Fachkräfte. Daraus wurde dann „eine klassische Ost-West-Ehe“. Sie investierte noch einmal in neue Maschinen – bei gleichem Risiko für beide. Dann aber mußte sie feststellen, daß die Umschulung ihrer Angestellten auf die für sie fremden, PC-gesteuerten Fertigungsgeräte persönlich schwierig und auch zu teuer war: „Das konnte ich mir nicht leisten.“ Im Sommer 1993 ging sie bei einem Treffen mittelständischer UnternehmerInnen auf die Barrikaden und mokierte sich „eindringlich und temperamentvoll“ über die „albernen Umschulungen“, für die es in Thüringen Fördermittel gab: „Was sollten wir hier mit noch 100 Floristen?“ Sie plädierte dafür, Geld in bestehende Betriebe zu stecken und die Leute dort berufsbegleitend für den modernen Stand der Technik zu qualifizieren. Damit hatte sie unbemerkt offene Türen eingerannt: „Das war Samstag.“ Am Montag bereits meldete sich die Industrie- und Handelskammer mit einem Schulungsangebot bei ihr.

Eigentlich sei sie, findet sie, „gar nicht der harte Unternehmertyp, der ich sein müßte“. Aber sie habe, „mehr durch Tiefschläge als durch Erfolge“, lernen müssen, sich durchzusetzen. Zu den neuen Erfahrungen gehörte es auch, daß „die Zahlungsmoral mancher Kunden nicht vorbildlich ist“. Glücklich ist sie dagegen über ihre Entscheidung, von Anfang an Lehrlinge auszubilden. Daran hängt ihr Herz. Dieser gute Wille hatte es in dem neuen Bundesland anfangs schwer: wiederholt beschieden ihr Eltern, „daß die Kinder im Westen besser ausgebildet werden“. Anfangs bekam sie auf ihr Lehrstellenangebot nur eine einzige Bewerbung. Inzwischen gibt es einen thüringischen Firmenverbund, der den Lehrlingen eine betriebsübergreifende Ausbildung garantiert „mit modernsten Maschinen und allem, was zum Berufsbild gehört“. Das ist, weiß sie angesichts des Lehrstellenmangels, „nur ein ganz kleiner Tropfen auf den heißen Stein“. Der aber sei dringend notwendig, mahnt sie Politik und Unternehmen immer wieder: „Wir müssen unseren eigenen Nachwuchs heranziehen, sonst arbeiten wir im Jahr 2.000 nur noch mit alten Leuten.“

Daß der Betrieb kein Musterbeispiel der Erfüllung gewerkschaftlicher Ansprüche ist, wissen Häfner und Hermann durchaus. Einen Betriebsrat gibt es nicht. Gewerkschaftsmitglieder auch nicht, jedenfalls weiß Ehrengard Häfner dann nichts davon. Brauche es auch nicht, meint sie, so lange sie Lohnerhöhungen nach und nach von sich aus freiwillig zahlt. Daß der innerbetriebliche „Leistungslohn“ ein versteckter Akkord sein könnte, na ja, daran denkt sie besser nicht. „Gute Leistung muß auch gut bezahlt werden“, ist ihre einfache, vorerst wohl auch wirksame Formel. Daß der Mann an der Zuschneidemaschine für die dünnen, verzinkten Bleche, die dann zu Profilleisten geformt werden, mit bloßen Händen arbeitet, statt Handschuhe zu tragen, sieht auch Hermann mit Mißfallen. Die Handschuhe liegen bereit, werden aber ungern angezogen, weil sie das Arbeitstempo verlangsamen.

Ihre wichtigsten Eigenschaften? Das sind, findet Ehrengard Häfner, „Stolz und ein großes Selbstbewußtsein“, beharrlich bleiben, sich nicht vom Weg abbringen lassen. Ob sie irgend etwas aus der alten DDR-Zeit vermißt? „Nein, gar nichts“, meint sie spontan und wird dann nachdenklich. Früher habe es sehr viel mehr Miteinander, Nachbarschaft und Freundschaft gegeben, spontane Grillfeste, weniger Neid und Mißgunst. Und die Enkel konnten sich damals noch über ein Stück Schokolade von der Oma freuen, das „heute nichts Besonderes mehr ist“. Es werde überhaupt viel zu viel zu schnell konsumiert, und die Illusionen seien zu groß gewesen.

Und das Privatleben? „Die Familie“ – Ehemann, zwei Töchter, vier Enkel –, sagt sie, „wird integriert.“ Im Empfang arbeitet eine der beiden Töchter, davor spielt Enkelin Anne-Kathrin. Die Eingangshalle ist hell und licht, kunstvolle Blumengestecke überall im Haus verteilt. Die sind ihr aus der leidvollen Erfahrung mit den Adventskränzen geblieben. Ehrengard Häfner hat im Einkaufszentrum ein Lädchen für Seidenblumen und -gestecke eingerichtet. Die verkauft sie am Samstag selbst, ein bißchen auch als Kontrastprogramm und Entspannung zu den kühlen Metallblechen und „damit ich auch im Ruhestand etwas zum Pusseln und Basteln habe“. Einer ihrer Träume geht über Ruhestand und Umsatzzahlen hoch hinaus: „Ich möchte einmal einen Ballonflug machen.“ Wildwasser-Rafting in Österreich hat sie schon hinter sich: „Da dachte ich hinterher, wir müssen doch nicht ganz normal sein, dafür auch noch Geld zu bezahlen.“