: "Die Monumentalisierung ist verfehlt"
■ Der Kunsthistoriker Hans-Ernst Mittig zum umstrittenen Holocaust-Mahnmal: "Die Erinnerung an wilhelminische Denkmäler und die Totenburgen der Nazis stört - Nachdenklichkeit wird durch den Entwurf zurü
taz: Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich gegen das geplante Holocaust-Denkmal im Stil einer überdimensionalen Grabplatte ausgesprochen. Halten Sie seine Kritik für angemessen?
Hans-Ernst Mittig: Bemerkenswert ist, zu welcher Bedeutung der Begriff Monumentalität in der Debatte gelangt ist. Große Dimensionen allein bedeuten noch keine Monumentalität. Bei großen Denkmälern war es ein Kriterium der Einschätzung, ob sie die Menschen nicht nur klein machen oder ihnen die Möglichkeit eröffnen, sich die Form anzueignen und sich zu erheben.
Kohl sprach davon, daß der Entwurf zu „gigantisch“ sei und sich nicht in den Stadtgrundriß einpasse.
Dagegen wird in platter Parallelisierung gehalten, daß es sich um ein gigantisches Verbrechen gehandelt hat – was ja niemand bestreitet. Daß sich ein solches Thema nicht mit kleinen Gegenständen abhandeln läßt, kann ich nachvollziehen. In diesem Fall halte ich eine Monumentalisierung aber für verfehlt. Denn das Thema ist das Verbrechen. Wie sieht das aus, wenn der Betrachter emporgehoben wird, da er die Platte begehen kann. Das kann ja nicht das Ziel sein, denkt man an die Taten und Opfer.
Welche anderen Chiffren müßten sich in einem solchen Mahnmal widerspiegeln?
Gerade wenn man an die jüngere Generation denkt, die sich nicht mit Schuld beladen hat, sollte man beim Umgang mit Schuldgefühlen vorsichtig sein. Darum finde ich es richtiger, an die eigenen Friedensinteressen zu appellieren. Es geht um die Hintergründe des Verbrechens, statt sich nur die Dimension und das Ausmaß des Verbrechens klarzumachen. Dazu bedürfte es einer Einrichtung, die hilft, präzise Fragen über die Vernichtung und Verfolgung der Juden zu beantworten.
Ist das ein Plädoyer für eine Gedenkstätte?
Ich möchte mich nicht auf die Alternative einlassen: Geschichtsdokumente statt Kunstwerke. Kunstwerke können Signale geben, Emotionen wecken und die Motivation erzeugen, dann auch nachzulesen. Denkmäler wie die „Bibliothek“ von Micha Ullman oder das von Stih und Stock im Bayerischen Viertel zeigen, daß sie präzisere Gedanken unterstützen und wir unsere eigene Alltagserfahrung einbringen können, statt nur den Blick nach oben auf große Entwürfe zu richten. Und es gibt noch die authentischen Orte und Werkzeuge der Vernichtung.
Finden Sie den Ort für das Holocaust-Denkmal am Brandenburger Tor schlecht gewählt?
Das Deutsche Reich ist von der Reichskanzlei aus regiert worden. In der Standortwahl lebt zugleich eine falsche Personenfixierung fort, als hätte es im Grunde nur einen großen Verbrecher gegeben.
Welche Denkmal-Traditionen werden von einer Vielzahl der Holcaust-Denkmal-Entwürfe berührt?
Wenn man die Dimension der Entwürfe ganz äußerlich vergleichen will, dann müßte man an die wilhelminischen Großdenkmäler wie das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig denken und an die geplanten Totenburgen der Nazis. Vom Inhalt her kann man es nicht annähernd gleichsetzen. Und doch ist es eine Erinnerung, die mich dabei stört.
In Kohls Kritik klang auch mit, daß kaum ein öffentlicher Diskurs über die Form und die Rolle des Denkmals stattfand. Was hätte anders gemacht werden müssen?
Natürlich sollte lange und öffentlich darüber geredet werden. Die Entwürfe sollten ausgestellt sein, bevor die Jury entscheidet.
Wie könnte ein solcher Diskurs nun organisiert werden, angesichts der vielen unterschiedlichen Interessen?
Es ist nicht falsch, daß private Initiatoren den Anstoß für ein Denkmal geben. Die Frage ist nur, wie kommt man von dem Anstoß zur öffentlichen Diskussion?
Kunsthistoriker wie Sie lesen aus der Form und der Bedeutung von Denkmälern die Ideologie und Geisteshaltung der jeweiligen Epoche heraus?
Das läßt sich hier nur sehr schwer beantworten. Bauwerke etwa werden heute nicht mehr für die Ewigkeit gebaut. Dazu steht der Entwurf quer. Beides ist sehr bemerkenswert. Er könnte auch ein Zeichen, ja eine Machtgeste darstellen gegen Leute, die diese Verbrechen beschönigen und leugnen wollen. In diesem Zusammenhang würde ich den schweren Betondeckel als Machtgeste gelten lassen. Ich finde aber, die Nachteile des Kraftaktes wiegen schwerer, weil das zurückgedrängt wird, was mir wichtig scheint: Nachdenklichkeit, Bereitschaft und Motivation zum Nachlesen. Interview: Rolf Lautenschläger
Hans-Ernst Mittig ist Professor für Kunstgeschichte am Fachbereich 11 der HdK Berlin
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