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Die Polizei und die „schwarzen“ Diebe

Londons Polizeichef entfacht Aufregung mit einem Brief über Straßenräuber / Spannungen zwischen Schwarz und Weiß / Steht ein heißer Sommer in britischen Städten bevor?  ■ Aus London Dominic Johnson

Kaum ist der innerkonservative Bürgerkrieg vorbei, hat Großbritannien schon sein nächstes Thema gefunden. „Hauptstadt-Polizeichef bricht Tabu und enthüllt: Die meisten Straßenräuber sind schwarz“, titelte am Freitag die konservative Tageszeitung Daily Telegraph auf der ersten Seite, und so ist an einem heißen Wochenende eine heiße Debatte über Ethnizität und Gewalt in britischen Städten entbrannt.

Der Londoner Polizeichef Sir Paul Condon, so der Bericht des Telegraph, hat in einem Brief an 40 Vertreter ethnischer Minderheiten auf den „nicht hinnehmbaren Zuwachs“ registrierter Fälle von Straßenraub in London hingewiesen und geschrieben: „Es ist eine Tatsache, daß viele Straßenräuber sehr junge Schwarze sind, die aus der Schule ausgeschlossen worden und/oder arbeitslos sind“. Darüber müsse man reden, und er lade zu einem Treffen am 28. Juli ein. Auf Nachfrage der Zeitung präzisierte Condon dann, daß acht von zehn Opfern eines Straßenraubs ihren Täter auf Nachfrage als „schwarz“ identifiziert hätten.

Das Stereotyp des schwarzen Straßenräubers, der unschuldige weiße Rentnerinnen anfällt, ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Schreckgespenst britischer Konservativer. Innenminister Michael Howard, Mitglied des rechten Tory-Flügels, stellte sich denn auch sofort hinter Condon. Doch Minderheitenführer sind empört: „Jetzt werden die Leute halt denken, daß jeder schwarze Junge ein Räuber ist“, schäumte der schwarze Labour- Parlamentarier Bernie Grant: Condon hätte wenigstens sagen müssen, daß auch die Opfer von Straßenraub in London mehrheitlich Schwarze sind, und die Polizei solle endlich aufhören, bei der Anzeigenaufnahme immer als erstes nach der Hautfarbe des Täters zu fragen. Andere riefen dazu auf, das Treffen mit Condon zu boykottieren.

Der Termin dafür ist ohnehin unglücklich gewählt: Der 28. Juli ist der zweite Jahrestag des Todes der Jamaikanerin Joy Gardner, die in Polizeigewahrsam erstickte, als zu ihrer Deportation entsandte Beamte ihren Mund mit Klebeband zuklebten, um sie ruhigzustellen. Die daran beteiligten Polizisten wurden letzten Monat vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Bemerkenswerterweise versuchte kein Kritiker, die 80-Prozent-Statistik zu widerlegen. Das sei „seit vielen Jahren wohlbekannt“, sagte Labour-Sprecher Jack Straw. Doch Beobachter sind sich darüber einig, daß es nicht um die Hautfarbe der Täter gehen dürfe, sondern um ihre soziale Lage. „Straßenraub ist das amateurhafteste Verbrechen und wird daher im allgemeinen von den ärmsten Leuten begangen“, sagte Universitätsprofessor Jock Young und wies darauf hin, daß in Städten wie Glasgow in Schottland oder Newcastle in Nordengland, wo weniger Schwarze leben, die meisten Straßenräuber Weiße sind. Nach Angaben der „Kommission für Rassengleichheit“ beträgt die Arbeitslosenrate bei Männern zwischen 16 und 24 Jahren in London 22 Prozent bei Weißen – und 61 Prozent bei Schwarzen. Es liegt mit daran, daß die wuchernde Drogenökonomie in den Armenvierteln und die damit verbundene Beschaffungskriminalität bei der schwarzen Jugend eine größere Rolle spielen.

Die notwendige Debatte über die Perspektivlosigkeit der schwarzen Jugend und die Rolle von Minderheitenführern, wie sie ansatzweise in den USA bereits stattfindet, ist nun aber in den Hintergrund gedrängt worden. Eigentlich galt Condon bislang als der progressivste Polizeichef, den London je gesehen hat, und in seinem Brief ging es ihm ja gerade darum, vor einer für Anfang August geplanten Reihe von Polizeioperationen in Londons Armenvierteln gesellschaftliche Unterstützung und das Einverständnis der Betroffenen zu erreichen – früher führten derartige Polizeiaufmärsche meist zu Unruhen, bei denen es auch Tote gab. Doch mit seinen Aussagen gegenüber dem Daily Telegraph hat er nun das Gegenteil erreicht.

Stehen Großbritanniens Slums nun also vor einem neuen heißen Sommer sozialer Unruhen mit ethnischen Komponenten, wie mehrmals in den 80er Jahren? Bereits seit Mittwoch abend gehen in einer heruntergekommenen Wohnsiedlung in Luton, nördlich von London, jede Nacht Jugendliche aller Hautfarben auf die Straße und greifen die Polizei mit Messern und Benzinbomben an; mehrere Hochhäuser wurden am Wochenende von Sondereinheiten abgeriegelt, und zehn Jugendliche kamen bereits wegen „gewalttätiger Ausschreitungen“ vor Gericht. Mit Condon hat dies nichts zu tun, aber es ist ein Hinweis auf ein explosives soziales Klima.

Das Klima zwischen Schwarz und Weiß in England ist zur Zeit ohnehin extrem gespannt. Im Osten Londons findet unter jungen Schwarzen bereits ein Theaterstück Anklang, das vom radikalen US-Schwarzenführer Louis Farrakhan stammen könnte: Schauspieler stellen dem Holocaust an sechs Millionen Juden den Tod von angeblich 130 Millionen Afrikanern durch die Sklaverei gegenüber und rufen zur Revolte auf. Mehrmals sind weiße Zuschauer während der Aufführungen bedroht worden und mußten vorzeitig gehen.

Und erst vor einer Woche erregte die altehrwürdige Cricket- Zeitschrift Wisden Cricket Monthly mit einem Artikel Aufsehen, in dem unter der Überschrift „Liegt es im Blut?“ der Niedergang des englischen Cricket auf die wachsende Anzahl ausländischer Spieler zurückgeführt wurde. Wegen „postkolonialer Mythen von Unterdrückung und Ausbeutung“ seien karibische Spieler in englischen Teams „mißmutig und separatistisch“, behauptete der Autor Robert Henderson, und der zum Erfolg nötige Teamgeist gehe „Negern“ ab. Der Herausgeber der Zeitschrift verteidigte den Artikel als Beitrag zu einer „notwendigen Diskussion“, und die seitherige Debatte hat enthüllt, daß Rassismus im britischen Sportjournalismus offenbar weit verbreitet ist.

Ironischerweise erlitt das derzeit ziemlich reinrassige englische Cricket-Team an diesem Wochenende eine der schwersten Niederlagen seiner Geschichte – gegen das Team der karibischen West Indies.

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