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Russische Seele auf Eis

■ Moskauer KünstlerInnen zu Gast im Bremer World Trade Center: „Ich illustriere das Buch meines Lebens“

Auch die russische Seele lebt nicht vom Pathos allein. Bricht der Alltag ein, dann braucht der russische Künstler ein wenig Butter aufs Chleb (Brot) und ab und ein Fläschchen Wasser (Woda).

Um eben diese Grundversorgung zu sichern gab es im Ostblock jahrzehntelang einen gut eingefahrenen Weg. Nicht „Soziale Künstlerförderung“ hieß die Lösung, sondern Buchillustrationen. Eine überaus weitverbreitete Kunstform. Sie bot auch denjenigen Künstlern, die nie und nimmer die Chance hatten, ihre Bilder im offiziellen staatlichen Kunsthandel zu verkaufen, Arbeitsmöglichkeiten und vor allem Einkommen.

Die Konzeption der neuen Ausstellung von zwei Moskauer Künstlerinnen und einem Künstler im „World Trade Center“ basiert auf dem gemeinsamen Ursprung. Ebenso wie die berühmte Wera Mituritsch-Chelebnikowa ist auch Nadeshda Stolpowskaja Buchillustratorin. Und Gigori Berstein hat eh früher so sein Geld verdient.

Wer allerdings unter dem leicht verquasten Titel „Gebrochene Spiegel der Natur“ piefige, reflektierende Vitrinen mit kleinen Deckblättern und lieb illustrierte Kinderbücher erwartet, liegt völlig daneben. In der großen Eingangshalle des World Trade Centers hängen imposante Formate. Es dominieren kräftige Farben, Langgestrecktes, und um manche Collagen abzuschreiten braucht es ein paar Schritte, so raumgreifend sind die Arrangements.

„Ich illustriere jetzt das Buch meines eigenen Lebens“, erklärt Grigori Berstein verschmitzt die offensichtlichen Veränderungen, die seine Malerei in den letzten Jahren durchlaufen hat. Wo früher Formate in Größe eines zusammengelegten Taschentuches die Norm waren, hängen jetzt mannshohe Triptichen mit angeschraubten Plexiglasflügeln. In der Form schlage sich schon ein befreites Aufatmen nieder, gibt Bernstein zu. Die Themen jedoch zeugen von neuen Problemen, mit denen man durch den freien offenen Kunstmarkt zum ersten Mal konfrontiert sei: „Das Leben ist intensiver. In der Kunst stellt sich jetzt die Überlebensfrage. Wie finde ich mich, meinen Stil. Die Suche nach der Identität ist etwas völlig Neues.“

Einerseits lebt Grigori Berstein die Konflikte ohne Netz und doppelten Boden. Permanent pendelt er zwischen Moskau und Köln, kann sich weder für den einen noch für den anderen Wohnort entscheiden, denn die Zerrissenenheit „das ist nun mal meine russische Seele.“

Mit diesen Entscheidungsproblemen scheint er nicht allein zu stehen. In der Moskauer Kunstszene hat das Ost-West-Thema Hochkonjunktur. Dr. Wolfgang Schlott vom Osteuropa-Institut beobachtet die Szene seit 20 Jahren und kann den gegenwärtigen Kurs einordnen. „Geändert hat sich in Rußland viel und wenig zugleich. 1988, als Sotheby's die russischen Künstler entdeckte, dachten alle, jetzt geht's los. Aber so war es natürlich nicht. Und daß jetzt alle in Köln sitzen, ist natürlich auch ein Anzeichen dafür, daß es den Markt für Kunst in Moskau nicht gibt. Aber andererseits kaufen seit neustem die Banken in Moskau Kunst und legen sie als Wertanlage in den Tresor.“

Dieser internationalen Rouletterunde, in der mal auf Kunst gesetzt wird und mal auf Niete, ist auch Grigori Berstein ausgesetzt. In der Arbeit jedoch hat er sich für die Wegstrecke einen Freund zur Seite genommen. Ein gedrungen Männchen, das da steht ganz still und stumm auf allen seinen Bildern rum. Kasper, der Beobachter, der von der immer grauer werdenden Wirklichkeit bedrängt wird, sei in einer Notsituation entstanden, in einer Katastrophe, wie das auf Russisch und Deutsch gleichermaßen heißt. Bei seinem ersten Deutschlandbesuch vor drei Jahren habe er einen Unfall gehabt. Im Krankenhaus, zwischen Leben und Sterben, da habe er seinen Doppelgänger plötzlich gesehen. Seitdem begleitet Kaspar ihn auf allen Bildern, ist Hauptfigur „in dem Roman, den ich mit dem Pinsel schreibe.“ Für den Illustrator, dem die Texte nicht schwierig genug zu bebildern sein konnten („Am liebsten die Bibel oder die Straßenverkehrsordnung!“) sind die alten Erzählstrukturen in den neuen, unruhigen Zeiten durchaus hilfreich. Narratives steckt immer noch als Handwerkszeug im Rucksack des ehemaligen Buchkünstlers.

Auch die Künstlerin Wera Mituritsch-Chlebnikowa kann das Erzählen nicht lassen. „Die große Reise“ nennt sie ihr Arrangement aus alten geographischen Karten. Inseln im fernen Finnland sind hier abgebildet, die von Blatt zu Blatt über dargestellte Meßdaten und die Route einer Forschungsreise verbunden sind. Buchmaterial von 1905, vor der Russischen Revolution, das die Künstlerin 1992 veranlaßt, poetisch zu werden und sich sehnsüchtig zu erinnern.

Nadeshda Stolpowskaja greift die immergleiche Kinderfrage auf: „Ist es noch weit?“ heißt es leicht nörgelnd auf jedem Ausflug. Optisch löst sich das Warten in ein, zwei, drei gar vier Blättern mit grünen Farbstiftstrichen für den grünen Wald auf. Erst nach dieser Durststrecke zeigt das fünfte Blatt das rettende Blau eines Badesees.

Wem in der Gluthitze des Sommers der Weg zur kühlenden Kirche zu weit ist, der wird auch in dem steinpolierten Innenraum des World Trade Centers Entspannung finden. Und überrascht sein. Denn hier zeigt eine kleine Verkaufsausstellung, welch Rätsel sich noch hinter den Köpfen von drei russischen BuchkünstlerInnen verbargen. Susanne Raubold

„Gebrochene Spiegel der Natur“ WTC in der Birkenstraße 15, Mo-Do 8-18 Uhr und Fr bis 17.00

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