: Lieber unter 'ner Brücke schlafen
Die Pläne, Wohngemeinschaften bei der Sozialhilfe zur Kasse zu bitten, führen zu Alpträumen / Ausziehen, fünfzehn Kühlschränke anschaffen oder die Unterstützung durch Putzen abarbeiten? ■ Von Gesa Schulz
Bei dem Ideenwettbewerb „Wie entlaste ich die Staatskasse am besten?“ hat Bundesgesundheitsminister Seehofer einen Vorschlag gemacht, der in Wohngemeinschaften Alpträume produziert. Nach des Ministers Wünschen sollen Bewohner einer „Haushaltsgemeinschaft“ nur noch dann Sozialhilfe bekommen, wenn ihre Mitbewohner vorher geschröpft wurden. Ob Lebensgemeinschaft, Zweck-WG oder einfach Untermieter: eine Haushaltsgemeinschaft stellen sie laut der Novelle alle miteinander dar. Es sei denn, man kann nachweisen, daß die Haushaltsführung vollkommen getrennt läuft.
„Das heißt, wir müßten 15 Kühlschränke aufstellen und bei der Telefonabrechnung akribisch die Einheiten auseinanderrechnen. Nach jedem Vollbad müßte der Stromzähler abgelesen werden. Mit dem Gemeinschaftsraum wäre auch Schluß“, stellt sich Manuel die Auslegung des Gesetzestextes in der Praxis vor. „Wenn das wirklich durchkommt, kannst du mit bestimmten Leute nicht mehr zusammenwohnen. Dadurch würden etliche WGs kaputtgemacht“, glaubt er. Allerdings bezweifelt er, daß der Vorschlag mehrheitsfähig und praktisch umsetzbar sein soll.
Auch bei den Sozialberatungsstellen herrscht eher Ungläubigkeit als Ärger vor. „Das würde ehebliche Probleme mit sich bringen“, ist sich eine Mitarbeiterin der Sozialberatung Mitte sicher und hat dafür ein Beispiel aus dem Alltag der Sozialämter parat. „Wenn ein alleinstehender Sozialhilfeempfänger mehr als eineinhalb Zimmer bewohnt, fordert ihn das Sozialamt auf, sich einen Untermieter zu suchen“, erklärt sie. Ebendieser Untermieter könnte dann postwendend zur Unterhaltszahlung herangezogen werden. Denn laut der Seehofer-Novelle wird die gemeinschaftliche Haushaltsführung zunächst unterstellt. Das Gegenteil müssen die Betroffenen beweisen.
Zu Diskussionen in den WGs haben die Seehoferschen Pläne bislang allerdings kaum geführt. Das häufigste Argument für die mangelnde Auseinandersetzung: „Wir haben uns seitdem noch nicht gesehen.“ Womit die vermutete enge Beziehung der Kommunarden ab adsurdum geführt wäre. Auch Cordula Geßner von der Sozialberatung Friedrichshain stellt fest, daß der Reformvorschlag noch keinerlei Proteste hervorgerufen hat. Für sie spiegelt sich darin die Resignation vieler Sozialhilfeempfänger wider, die durch immer neue Reformen und Gesetzentwürfe noch verstärkt werde. „Kaum jemand steigt noch durch den Wust von Vorschriften durch. Dadurch entsteht ein Gefühl von ,Die da oben machen sowieso, was sie wollen‘“, so ihre Erfahrung.
Aber auch ohne vorherige Diskussion mit den Mitbewohnern reicht die Phantasie doch aus, sich drastische persönliche Konsequenzen lebhaft vorstellen zu können. „Ich hab' jahrelang in einer reinen Zweck-WG gewohnt. Bevor ich von meinen MitbewohnerInnen Geld angenommen hätte, wäre ich lieber ausgezogen. Da hätte ich eher unter einer Brücke geschlafen“, gruselt sich Ulrich vor der Rolle des bedürftigen Bittstellers. Aber auch die Aussicht, die Mitkommunarden durchzufüttern, ruft wenig Begeisterung hervor. „Stell dir mal vor, ich putz' die ganzen Semesterferien im Hotel, und meine Mitbewohnerin fährt von meinem Geld drei Wochen nach Italien. Ich glaub', damit hätte ich schon Schwierigkeiten“, spielt Beate aus Moabit die Rolle der Finanzkräftigen durch. Auf jeden Fall ist sie sicher, daß das nette WG-Leben mit Einführung der Reform passé wäre. „Wahrscheinlich würden sich diejenigen, die das Geld bekommen, in regelrechte Putzteufel verwandeln, um das schlechte Gewissen zu kompensieren“, prophezeit die Studentin. Manuels Vorstellung ist noch weitreichender. Sollte Seehofer seine Pläne durchsetzen, haben Sozialhilfeempfänger in WGs keine Chance mehr, vermutet er. „In den Kleinanzeigen wird dann stehen: ,Suche Mitbewohner. Haustiere und Sozialhilfeempfänger unerwünscht.‘“
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