: Musikhochschule aus dem Takt geraten
■ „Hanns Eisler“: Fachbereich Popmusik in der Krise / Aufnahmestopp
Eigentlich wollte Benjamin Groß in der kommenden Woche an der Aufnahmeprüfung der Fachgruppe Popularmusik teilnehmen. Doch in der vergangenen Woche erhielt er überraschend Post von der Hochschule für Musik (HfM) „Hanns Eisler“. Darin hieß es, die Prüfungen würden auf unbestimmte Zeit verschoben.
Wie die 150 anderen Bewerber wird sich Benjamin wohl einen anderen Studienplatz suchen müssen. Zum Wintersemester nimmt die Hochschule im Fach Popularmusik keine Erstsemester auf, wie Pressesprecherin Pamela Steiner bestätigte. Der Fachbereich solle, so die offizielle Begründung, von 120 auf 60 Studierende schrumpfen.
Am 22. Juni hatte der Akademische Senat einen widersprüchlichen Beschluß gefaßt. Einerseits sollten im Wintersemester keine Popularmusik-Studierenden mehr immatrikuliert, andererseits aber sollte die Zugangsprüfung wie geplant durchgeführt werden. Erst ein Schreiben des Wissenschaftssenators führte zur Absage. Darin wurde HfM-Rektorin Annerose Schmidt aufgefordert, „in Hinblick auf die angestrebte Qualitätssteigerung zu kleineren Zulassungszahlen zu kommen“. Es gebe zu wenige hauptamtliche Lehrkräfte, begründete Maria Bering, persönliche Referentin des Senators, diesen Schritt.
In der Fachgruppe Popularmusik, aus der Abteilung für Tanz- und Unterhaltungsmusik hervorgegangen, kriselt es schon länger. Zum Wintersemester 1994/95 wurde der New Yorker Jazzmusiker Kirk Nurock Fachgruppenleiter. Dessen künstlerische Fähigkeiten werden zwar weithin anerkannt, doch habe er seine Verwaltungsaufgaben nicht wahrgenommen, klagen Studierende. Das bei der Berufung gegebene Versprechen, Deutsch zu lernen, habe er nicht eingelöst. Auch kollidierten seine „Visionen einer Weltmusik“ mit den Anforderungen der Studienordnung. Als die Hochschulgremien seine Reformvorschläge ablehnten, soll Nurock die HfM als „schlechteste Hochschule der Welt“ beschimpft haben.
Doch ob Nurock, der seit mehreren Wochen krank gemeldet ist, wieder an die HfM zurückkommt, ist fraglich. Einige Studierende und Mitarbeiter sollen bereits Abschiedsbriefe erhalten haben, in denen er sich für die Zusammenarbeit bedankt. „Er hat innerlich Abschied genommen“, denkt auch der kommissarische Fachgruppenleiter Wolfgang Schmiedt.
In dem Konflikt spielen noch andere Aspekte eine Rolle. Innerhalb der Hochschule, wo Nurock den „provinziellen Mief der Tanz- und Unterhaltungsmusik“ zugunsten „gesamtdeutscher Spitzenkultur“ austreiben sollte, sehen manche in dem Fall einen exemplarischen Ost-West-Konflikt. Zudem gibt die Reduzierung der Studierendenzahlen Gerüchten neue Nahrung, wonach der Studiengang im Zeichen des „Abbaus von Mehrfachangeboten“ an die Hochschule der Künste verlagert werden soll. Mehr Klarheit soll am Donnerstag ein Gespräch mit der Rektorin und Wissenschaftsstaatssekretär Erich Thies bringen. Ralph Bollmann
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