: Cafs in Ost und West
■ Manchmal ein bißchen zu prall, das Leben: Erzählungen von Maxim Biller
„Ich erzähle von Adi, dem Horthy-Spitzel, von der schwachsinnigen Eda und ihrem Freund, dem deutschen Unteroffizier, von Edas Mutter, die unter den Kommunisten mit ihrem Gemüsestand Millionärin wurde, von Gyula und Erwin Moser, die sich gegenseitig beim Staatssicherheitsdienst denunzierten und am selben Tag abgeholt wurden, und zum Schluß erzähle ich die Geschichte von Rabbi Majer, der – weißt du noch? – immer nur Mädchen in seinen Jeschiwa ließ, weil er meinte, sie hätten die allerschönsten Schläfenlocken ...“ Sie haben etwas zu erzählen, die Menschen in diesen neuen Geschichten von Maxim Biller, und es suhrkampt an keiner Stelle darin.
Aber wer in Tempo die moralischen Herrenmenschen der Nation anrüpelt, hat – so der Tenor – noch lange nicht das Eintrittsbillet zum Olymp ernsthaften deutschen Schrifttums gelöst. Maxim Biller hat immer noch Schwierigkeiten mit der Anerkennung als Schriftsteller. Er ist nicht, was er einmal einem seiner frühsenilen Kollegen vorwarf, „einer von diesen Lemuren, die in den Germanistikseminaren immer in der ersten Reihe sitzen, jedes Professorenwort notieren, selbst nie etwas sagen, Rilke im Café lesen und sich nicht trauen, zuzugeben, daß sie Botho Strauß und Ernst Jünger verehren.“
Biller ist ein talentierter Erzähler, auch wenn er manchmal in der Hitze des Gefechts allzu aufdringlich auf ober-cool macht: „Je länger ich ihn betrachtete, desto mehr fand ich, daß er kein ebenbürtiger Gegner für mich war.“ Philip Marlowe an der Isar, das kann nicht gutgehen. Aber das sind Anlaufschwierigkeiten, Ausrutscher in Nuancen, nicht mehr. Natürlich – und um das zu bemerken, braucht man keine Professur in Philologie – ist es nicht stimmig, wenn man schreibt: „Ich lief den Flur auf und ab, ohne auch nur einen Augenblick innezuhalten, [...] ich marschierte und rannte, keuchte und fluchte ...“
In einem Wohnungsflur kann man schwerlich rennen, und wenn der Ich-Erzähler in einem Gespräch abwechselnd schweigt, knurrt, tobt, wimmert, schreit und lächelt, dann liegt der Gedanke nahe, daß es mitunter etwas holterdiepolter zugeht in Maxim Billers Geschichten, daß die Motorik der Semantik quer zu laufen droht und ein paar plausiblere atmosphärische Abstufungen nicht schaden könnten.
Billers Vorbilder sind Amerikaner, und der Name von Philip Roth geistert öfters durch das Buch. Ein Café in New York, eine deutsche Frau, ein jüdischer Professor, der sie in einem Creative-writing-Kurs eine Short story über den Holocaust schreiben lassen will – in der Geschichte „Finkelsteins Finger“ zeigt Biller, daß auch er mühelos das entsprechende jewish-east- coast-Ambiente hintuschen kann. Aber er ist eigentlich kein Ironiker, der Osten Europas ist dem 1960 in Prag geborenen Autor immer noch sehr nahe, und das heißt am Ende in der Frage der literarischen Nachfolge: nicht Philip, sondern Joseph Roth.
Tatsächlich wird in diesen Geschichten aus Polen, Rußland, Ungarn nicht nur an eine große Tradition angeknüpft, sondern auch ein Bild dieses Jahrhunderts entworfen, seiner Illusionen und Enttäuschungen, seiner Utopien und massenmörderischen Abstürze. Und seine jüdischen Protagonisten, zermalmt zwischen Faschismus und Stalinismus, sind alles andere als Lichtgestalten. Dieses Muster kehrt immer wieder: Söhne befragen ihre Väter, sie mißtrauen den Legenden der Überlebenden. Der Zweifel geht bis auf den Kern: „Ich hatte in diesem Moment endlich begriffen, daß wirklich nur jene die schrecklichste aller Zeiten überstehen konnten, die immer richtig fühlten und dachten, aber niemals aufrecht handelten.“
So schockierend das klingt, es ist das Gegenteil von Relativierung. Diese Geschichten räumen lediglich mit der christlich-masochistischen Mär auf, daß Leiden die Menschen veredele. Billers Blick auf die Verwüstungen in den Seelen der Opfer ist starker Tobak für die volkspädagogische Betulichkeit unserer Bewältigungsprofis. „Sieg Heil, Itzig, mein Opa hatte auch keine Vorhaut, und jetzt erzähl mal, wie es damals in Birkenau war“, ließ Maxim Biller in einer seiner Haß-Kolumnen einmal Lea Rosh sagen. Diesmal ist es ein Herr Demmke von der Katholischen Universität Eichstätt, der Schlomo Lurie, den einzigen Überlebenden des Massakers von Ejiszyski/Litauen zu einem der üblichen Symposien schleppen will, um den Nachgeborenen „Ermahnung, Warnung und Weisheit“ zu vermitteln. Lurie sträubt sich. Er weiß es besser, denn er verriet seine eigene Schwester, um den deutschen SD-Männern zu entkommen. Auf Luries Ablehnung antwortet Demmke: „Ihr fühlt euch noch immer so verdammt überlegen. Ihr gebt uns nie eine Chance.“ Selten wurde die zwischen Anbiederung und Aggression schwankende Attitüde unserer berufsmäßig betroffenen Bewältiger so knapp und präzis offengelegt.
In einem anderen Stück wird ein deutscher Jude im Nachkriegsdeutschland zum literarischen Star, dessen formstrenge und verrätselte Gedichte man preist. Einem jungen Journalisten erzählt er dann Jahrzehnte später seine wirkliche Geschichte: wie er sich als Junge in Italien vor der Wehrmacht verstecken mußte. Wie er Verrat übte, um zu überleben, wie er schließlich dies in Gedichte faßt und so metaphysisch überhöht, daß es später im Land der Täter höchsten Beifall findet. Ein deutscher Soldat wird nach dem Krieg ebenfalls Schriftsteller. Er schlachtet die Begegnung mit zwei jüdischen Jungen, die in Polen auf der Flucht sind, literarisch aus: Und es entsteht ein „Kindheitsmuster“, wie es hierzulande typisch ist in seiner Melange aus östlicher Weite und vorgeblicher deutscher Tiefe, wortreich verklärtem Nichtstun und verleugnetem Mitläufertum.
Sie kommen schlecht weg in diesem Buch, die edlen Seelen, die bärtigen Wahrheitssucher. Wenn Biller vom Osten erzählt, dann spricht ein kosmopolitisch erfahrener Erzähler, nicht ein wildgewordener Geopolitiker oder schwärmerischer Dissident. Die vielgerühmte russische Seele, das Beieinanderhocken in Moskauer Hinterhofwohnungen, Barbarei und Zärtlichkeit, Wodka und Literatur – Biller beschreibt es mit großer Genauigkeit und ist dabei alles andere als fasziniert.
Einer dieser slawischen Heiligen besucht seine emigrierten Freunde in Westberlin, frißt, klagt und furzt und vergewaltigt anschließend die Tochter des Hauses. Als man auf der Polizeiwache seinen Koffer öffnet und auf Schmuggelware gefaßt ist, findet man nur „Bücher, zerlesene russische Bücher, Bücher von Tschechow, Ehrenburg und Bulgakow, Bücher, die Polanski den ganzen Weg von Moskau nach Berlin geschleppt hatte.“
Das Café Aval in Tel Aviv, das San Marco in München oder das Slovansky dum in Prag: hier wird ein lange zerstörter Kontext wiederhergestellt, und das in einer Sprache, die lange tot schien, der Sprache des Flaneurs und Menschenkenners. Das gescholtene und vergessene Wort Zivilisationsliterat hat mit Billers Buch die Chance, wieder ein Ehrentitel zu werden. Marko Martin
Maxim Biller: „Land der Väter und Verräter“, Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 378 Seiten, geb. 39,80 DM.
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