: Holocaust-Mahnmal – ein „Unsinnsprojekt“
■ Der Historiker Arno Lustiger plädiert für die Finanzierung bestehender KZ-Gedenkstätten
taz: Der Widerstand gegen den Siegerentwurf zum zentralen Holocaust-Mahnmal wächst, sogar in den Reihen der Auslober – es sei zu groß, die Namen blieben anonym. Helmut Kohl meint gar, es solle so nicht gebaut werden, passe nicht ins Stadtbild. Finden Sie dies auch?
Arno Lustiger: Ich wäre sehr froh, wenn durch die öffentliche Diskussion die Bundesregierung das Unternehmen stoppen würde, bevor weiteres Geld in dieses Unsinnsprojekt gesteckt wird. Ich plädiere unbedingt für die Erhaltung der bestehenden Gedenkstätten in den verschiedenen KZs, die derzeit so wenig Mittel bekommen, daß sie ihre aufklärerische Arbeit kaum leisten, geschweige denn deren Verfall stoppen können. Den Etat der brandenburgischen Gedenkstätten wie Ravensbrück und Sachsenhausen haben Bund und Land sogar um zwölf Prozent auf insgesamt 8,8 Millionen Mark gekürzt. Das ist schlimm. Außerdem soll die Unesco die Gedenkstätten in ihr Register als internationale Denkmäler aufnehmen.
Im Vorfeld der Debatte waren Sie aber sehr neugierig auf das Ergebnis.
Ja, denn das Thema des Gedenkens um die Opfer des Holocaust beschäftigt mich seit dem Ende des Krieges. Seit 1945 vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht an diejenigen denke, denen es nicht wie mir vergönnt war, die Befreiung zu erleben. Viele von uns Überlebenden leiden an der Überlebensschuld. Als der Denkmals-Beschluß gefaßt wurde, arbeitete ich gerade an meinem Buch über den jüdischen Widerstand und an der Herausgabe des „Schwarzbuches“ von Ilja Ehrenburg und Wassili Grossman. Rezensenten schrieben, daß diese Bücher Denkmale für die jüdischen Opfer sind.
Bücher müssen gekauft werden, über Denkmale soll man aber im Stadtbild stolpern.
Gerade nachdem ich mich über Jahre mit den schrecklichsten Greueltaten der Weltgeschichte befaßte, war ich sehr gespannt, wie der Massenmord an einem ganzen Volk symbolisch, bildlich, zwei- oder dreidimensional dargestellt werden kann. Nach dem Betrachten der Modelle war ich sehr enttäuscht. Es handelt sich um Produkte einer Gigantomie, die für mich jeglichen, auch symbolischen, Sinn entbehren. Wie kann ein 25.000 Tonnen schweres, hundert mal hundert mal sieben Meter großes, schiefes Stück Beton Emotionen wecken? Entsprechend verkleinert könnte es auch jedem anderen Zweck gewidmet werden. Und so was in einer Stadt, wo einige tausend Juden dank ihrer christlichen Freunde überlebten, wo Menschen wie Herbert Baum und Jitzhak Schersenz im Untergrund kämpften, wo mutige Frauen die einzige erfolgreiche Demonstration des Dritten Reiches durchhielten und dadurch ihre Männer retteten.
Hätten Sie einen sinnvolleren Vorschlag?
Nicht für ein Denkmal. Ich hätte mir eine Gedenkstätte gewünscht, die laut Ausschreibung auch möglich war. Darin enthalten sein sollte eine Gedächtnisbibliothek aller Werke über den Holocaust, in Buch- und CD-Form. In einer großen Datenbank sollten alle bekannten Namen der Opfer mit weiteren biografischen Daten gespeichert werden, die die Besucher nach beliebigen Merkmalen, Geburtsdatum, Wohnort etc. abrufen und ausdrucken können. Außerdem wünschte ich mir dort einen jüdischen Betsaal, in dem jeder mit einem Vorbeter oder Kantor das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sagen kann, sowie einen allen offenstehenden Andachts- und Meditationsraum. In einer Ausstellungshalle sollten schließlich Fotos der Ermordeten mit biografischen Details stehen, sonst keine weiteren Exponate. Und in einem anderen Raum könnte das „Archiv der zerstörten Gemeinden“ gezeigt und gespeichert werden. Alleine für Osteuropa existiert eine 40seitige Bibliographie der jüdischen Gedenkbücher.
Und wo sollen die Staatsgäste ihre Kränze hinlegen?
Für solche Versammlungen kennen wir den Ort „Ewige Lampe – Ner Tamid“. Das ist ein guter Ort. Ich möchte vor allem meiner Liebsten und der anderen Opfer an einem Platz gedenken, der nicht monumental, sondern menschlich gestaltet ist. Interview: Anita Kugler
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