: Unsinnig -betr.: "Wenn die ganze WG zum Sozialamt muß", taz vom 7.7.1995
Betr.: „Wenn die ganze WG zum Sozialamt muß“ v. 7.7.
Sparen kann teuer werden Der Vorschlag des Seehofer-Ministeriums ist, Haushaltsgemeinschaften für den Lebensunterhalt ihrer zur eigenständigen Versorgung nicht fähigen Mitglieder leistungspflichtig zu machen, um dadurch Sozialhilfe zu sparen.
Wird das realisiert, dann wird es teuer. Denn dies ist nicht nur ein Schlag gegen die Solidarität der „kleinen sozialen Netze“, deren Leistungsfähigkeit sonst von konservativer Seite so gerne beschworen wird. Es werden damit auch keine Entlastungen der Sozialhilfe erreicht. Vielmehr ist zu erwarten, daß vor allem die Kosten für die Wohnungsbeihilfen durch diese Maßnahme in die Höhe getrieben werden. Alleinstehende SozialhilfeempfängerInnen, die sich jetzt kostensparend Wohnungen teilen, werden hier geradezu dazu gezwungen, auf die teuerste Wohnform zurückzugreifen, die es gibt: auf die kleine Einzelwohnung. Das Sozialamt muß zahlen.
Spareffekte auf der anderen Seite sind kaum zu erwarten. Die Leistungsverpflichtung wird denen, die sich darum drücken wollen, kaum nachzuweisen sein. Bleiben die Fälle, in denen gilt: „Der Ehrliche ist der Dumme“. Das Zynische an den Plänen ist, daß sie genau darauf setzen und damit die Glaubwürdigkeit des Sozialstaates weiter untergraben.
Gäbe es einen Preis für den unsinnigsten sozialpolitischen Vorschlag des Jahres: dies wäre ein heißer Tip!
Sabine Hebenstreit-Müller, Amtsleiterin beim Amt für Soziale Dienste Bremen Ost
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