piwik no script img

Weiße dürfen nicht „Neger“ sagen

„Mohrle“, „Bimbo“, „Buschzulage“ – Schwarze Deutsche ärgern sich über Schimpfwörter und eine neue Nachlässigkeit / Ein Frankfurter Verein versucht, gegen die alltägliche Gleichgültigkeit anzugehen – schon in den Schulen  ■ Von Heide Platen

Nein, Anna ist noch nie als „Brikett“ beschimpft worden. Die Gymnasiastin, Tochter einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters, ist zornig. Distanzlos und neugierig findet sie „die Weißen“ mit ihrer ewigen Fragerei: „Welche Sprache sprichst du? Wo kommst du her?“ Früher oder später fragt sie das, sagt Anna, „jeder, aber auch wirklich jeder“.

Sie kommt aus Ginnheim, Arbeiterstadtteil im Frankfurter Südwesten, und kann auch „gutgemeinte“ Fragen nicht ausstehen: „Die Leute hören sich immer so an, als ob ich eine Krankheit hätte und sie mir unbedingt helfen müßten.“ Im Kindergarten wurde sie „unser Mohrsche“ genannt und überproportional getätschelt: „Das habe ich nicht als liebevoll empfunden, das war lästig.“ Trommel- und Tanz-Workshops, in denen deutsche SozialarbeiterInnen ihr Körpergefühl selbsterfahren wollen, sind Anna ebenfalls ein Greuel. Ihre Haßliste ist lang.

Darauf stehen auch die Dekorationen und Prospekte von Reisebüros mit all diesen dunkelhäutigen Frauen samt Busen, Blumenkränzen und Meeresblau. Männer, die ihr unbedingt sagen müssen, sie sei „sooo exotisch“, nennt sie knapp „Idioten“. Daß, wenn die Rede auf ihre dunkle Hautfarbe kommt, „immer, aber auch immer“, irgendwie vom Essen die Rede ist – Schokoladenbraun, Milchkaffee, Cremeweiß, Zartbitter, Kakao – hat sie ihre ganze Kindheit lang begleitet: „Schlimmer als käseweiß, Milchgesicht oder Semmelhaut. Das turnt wenigstens ab.“ Die süßen Genüsse, die den Konsum suggerieren, findet sie nicht nur bedrohlich sexistisch, sondern rassistisch.

Als Punkerin hat sie sich deshalb so gut gefallen, weil ihre Hautfarbe inmitten des abenteuerlichen Outfits, zwischen bunten Haaren, Leder und Ketten, nicht besonders auffiel: „Da konnte ich wenigstens in der Disco tanzen, ohne gleich als tierisch, affengeil musikalisch zu gelten.“ Inzwischen will sie sich nicht mehr verstecken: „Die Leute sollen sich endlich daran gewöhnen, daß es schwarze Deutsche gibt.“

Das ist nun wahrlich keine neue Forderung, aber Mechthild Duppel-Takayama von der Bundesgeschäftsstelle des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften (IAF) hat festgestellt, daß sie offensichtlich dennoch ständig wiederholt werden muß. Denn der Verstand ist eine Sache, die ethnozentrische Sozialisation der genuinen weißen MitteleuropäerInnen aber eine andere. „Neger“, „Nigger“, „Bimbo“ sind als Schimpfwörter bei jungen Leuten eben nicht auf alle Zeiten tabu. Anna hat sie oft gehört und meint, eher resignativ: „Die denken sich gar nichts dabei.“

Die neue Kampagne der IAF gegen „Negerküsse“ als Produktbezeichnung wird deshalb oft für übertrieben gehalten. In einem Leserbrief fragte die IAF auch bei der taz an: „Warum fällt es wohl so schwer, die Gefühle von Betroffenen als Maßstab für die eigene Ausdrucksweise zu nehmen?“ Anlaß war die Überschrift „Herzogs Negerküsse“ über einem Bericht zur Misereor-Fastenaktion. Duppel-Takayama sieht einen „schleichenden Rückfall“ in alte, kolonialistische Gewohnheiten. Sogar die „Kolonialneger“ kehren, kaum wahrgenommen, im postmodernen Alltag wieder. In den Läden mit gestyltem Nippes halten die stummen Diener mit Turban und Wulstlippen dutzendweise Tabletts, stemmen Lampenschirme auf ihren Schultern oder umarmen Schirmständer. Ängstliche Pseudo-Integration jedoch, wie beispielsweise in Schulen und Kindergärten „Unterschiede unter den Tisch zu kehren“, helfe auch nicht weiter: „Die Kinder können keine eigene Identität bilden, wenn sie anders behandelt werden, der Widerspruch aber nicht thematisiert wird.“

Nein, weiße Deutsche dürfen eben nicht „Neger“ sagen. Und deshalb, bitteschön, heißt der „Negerkuß“ Schokokuß – schwarzes Schaf und weißes Lamm sind nicht nur Metaphern. Daß der Song „Zehn kleine Negerlein“ es 1991 in die Charts schaffte, ehe EMI Electrola ihn nach heftigen Protesten vom Markt nahm, eine Illustrierte die Ex-DDRler Deutschlands „neue Neger“ nannte, sind keine Ausnahmen, sondern Beispiele einer neuen Nachlässigkeit, mit der auch eine liberale Zeitung ungeniert von „Buschzulage“ schrieb, als sich West-Beamte mit erhöhter Gratifikation „in den Osten“ versetzen ließen. Der wissenschaftlich unhaltbare Begriff „Rasse“ ist durch die umständlichere „Herkunft aus einem anderen Kulturkreis“ ersetzt, die auch nur Ab- und Ausgrenzung meint.

Auf den Witzseiten der Yellow- Press kochen nackte Neger mit Wulstlippen und Knochen im Haar noch immer Missionare. Kindliche schwarze Rundköpfe lachen weiter von Schokoladeneispackungen und Süßigkeiten. Neuere Nutznießer dieser Klischees sind Hilfsorganisationen, die für Spenden für die „Dritte Welt“ werben. Die riesigen Kulleraugen und großen Kinderköpfe auf dünnen Hälsen nutzen dieselben Emotionen, mit denen mechanische Nickneger noch in den 60er Jahren in den Kirchen demutsvoll und dankbar um Almosen baten. Auch die Exotik des Dokumentarfilms, der entweder Dürre, Hunger und Krieg oder Folklore und Tierwelt ablichtet, verfälscht – auch ungewollt – die Wahrnehmung afrikanischer Wirklichkeit.

Mechthild Duppel-Takayama ist mit einem Japaner verheiratet und lebt in Frankfurt, einer Stadt, deren BewohnerInnen sich liebend gern gleichzeitig weltoffen und leutselig geben. Das „frankfodderischste“ Erlebnis hatte sie auf der Rolltreppe eines Kaufhauses. Eine ältere, unvermeidlich wohlmeinende Frau blickte erst ihr ins Gesicht, dann ihrem kleinen Sohn und stellte dann im Vergleich strahlend fest: „Des ist aber ganz de Babba.“ – „Für mich ist das eine Grenzüberschreitung.“ Diese „positive Diskriminierung“ hat abgenommen, seit das Kind größer ist. Schwarze Kinder, meint sie, würden indes oft für besonders „niedlich“ gehalten, weil sie Ängste miniaturisieren.

Regina und Gerd Riepe haben sich für ihr Buch „Du Schwarz – Ich weiß“ auf die Suche nach dem Ursprung der Produktbezeichnung „Negerkuß“ gemacht. Konditoren warteten mit wichtigen Unterschieden auf: Mohrenköpfe sind ein Backwerk aus gefülltem Biskuitteig, Negerküsse ein zuckerschaumiges Industrieprodukt. Italienisch heißen sie „Teste de Moro“, Skandinavier, Holländer und Franzosen denken sich auch nichts dabei, nur die Briten sind politisch korrekt: „Chocolate coated marshmallows“.

Doch Diskriminierung sind auch die weißen Flecke in der Gesellschaft: Binationale Familien und ihre Erfahrungen kommen, obwohl sie längst zum Alltag gehören, in Schulunterricht und Werbung nicht vor. Die IAF stellte fest, daß viele Vorurteile schwer zu bekämpfen sind, weil sie schon in früher Kindheit verankert werden. „Schwarzer Mann“ und „Swarte Piet“, eine poltrige Knecht-Ruprecht-Figur in Holland, tragen dazu ebenso bei wie die Verlegenheit Erwachsener, wenn ein weißes Kind laute und unbekümmerte Fragen stellt, wenn es zum ersten Mal einen schwarzen Menschen sieht. Regina und Gerd Riepe: „Viele engagierte Erwachsene stellen im Kontakt mit AfrikanerInnen fest, daß sie befangen sind, ganz irrational reagieren und daß es ihnen nicht gelingt, einen offenen, partnerschaftlichen Kontakt zu Schwarzen aufzubauen, obwohl sie es eigentlich möchten.“ Die Riepes sammelten Hunderte von „Negerbildern“ auf Kaffeedosen, Kaugummipapieren. Im Einzelfall „doch nicht so schlimm“, kam in der Anhäufung „eine abscheuliche Karikatur zusammen, der NEGER, dem wir in unseren Träumen und Ängsten begegnen“. In Frankfurt heißt ein „sozialer Brennpunkt“ noch heute in der Umgangssprache „das Kamerun“.

Mit der „Kunterbunten Kinderkiste“, die an Kindergärten und Vorschulen geliefert wird, will die IAF interkulturelles Lernen fördern – „Gemeinsamkeiten hervorheben, ohne Unterschiede zu ignorieren“. Darin stecken außer lackierten Eßstäbchen und einer aufblasbaren Weltkugel jede Menge Papier, Handbücher, Begleittexte, Anregungen und Spielregeln. Doch selbst in den Bilderbüchern aus der Kiste finden sich Klischees wie die vom stets armen Landkind aus der „Dritten Welt“ und dem stets in der Stadt lebenden europäischen Wohlstandskind, denen die Bücher eigentlich entgegenwirken sollen.

Gleichwohl ist das IAF-Angebot vielfältig und praxisnah, aus alltäglichen Erfahrungen entstanden. „Räuber und Gendarm“ wird auch in Nepal gespielt, kenianische Kinder kennen den Brummkreisel auch ohne europäische Innovation, Versteckspiele sind in aller Welt zu Hause und Humpelkasten wird auch in Bolivien und Liberia gesprungen. Und da ist das Buch über die, wunderschön gezeichnete, „Erstaunliche Grace“, die lernt, daß sie im Schultheaterstück ein schwarzer Peter Pan sein kann, wenn sie das nur ganz fest will. Ling Sung wird für seine Schulschwierigkeiten entschädigt, als er den anderen Kindern zeigt, daß er mit Stäbchen essen kann. Immerhin, sagt Mechthild Duppel-Takayama, sind in diesen Büchern „eben nicht alle Kinder blond und blauäugig“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen