: Tumulte in Straßburg
■ Chiracs Auftritt brachte das Europäische Parlament zum Kochen
Straßburg (taz) – Das Europäische Parlament kochte gestern vormittag, als der französische Präsident Jacques Chirac seine Bilanz der französischen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union vortrug. Eine breite Mehrheit der Abgeordneten protestierte gegen die geplante Wiederaufnahme der Atomtests im Südpazifik. Die Grünen wollen das Parlament nun auffordern, vorerst nicht mehr in Straßburg, sondern nur noch in Brüssel zu tagen.
Chiracs Rede ging weitgehend im Tumult unter. Immer wieder versuchte Parlamentspräsident Klaus Hänsch Ruhe herzustellen. Doch kaum jemand schien sich für die europapolitischen Ausführungen des Staatspräsidenten zu interessieren. Lediglich ein paar konservative Abgeordnete spendeten zaghaft Beifall. Obwohl Chirac kein einziges Wort über die Atomtests verlor, ging es um nichts anderes.
Bereits bei seinem Einzug in den Parlamentssaal kam es zu Ausschreitungen. Einige Herren aus der Entourage, offensichtlich Bodyguards, ließen sich von den Transparenten mit dem Atompilz und von Abgeordneten mit Anti- Atomtest-Stickern dermaßen aus der Fassung bringen, daß sie rüde um sich schlugen. Etliche Abgeordnete gingen zu Boden.
Die Chefin der Sozialistischen Fraktion, Pauline Green, warnte Chirac vor weiteren Aktionen gegen das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior II und nannte die Atomtests „total inakzeptabel“. Frieder Otto Wolf von den Grünen warf dem „neogaullistischen Rambo“ Chirac eine „Arroganz der Macht“ vor, die das Europäische Parlament nicht stillschweigend hinnehmen könne. Die französische Abgeordnete Catherine Lalumière von der Radikalen Europäischen Allianz sprach von dem politischen Flurschaden, den die Atomtests in Frankreich und Europa anrichteten. Redner der konservativen Parteien hielten sich zurück. Lediglich James Goldsmith von der rechtsradikalen französischen Front National lobte den standhaften Patrioten Chirac.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, kündigte an, im Parlamentspräsidium zu beantragen, daß Straßburg als Sitz des Europäischen Parlaments so lange boykottiert wird, bis die Atomtests abgeblasen sind. Die Parlamentsarbeit solle bis dahin ausschließlich in Brüssel stattfinden, wo sich die Abgeordneten ohnehin drei von vier Wochen aufhielten. Ein derartiger Boykott würde den französischen Nationalstolz besonders hart treffen. Für die Regierung in Paris gilt der Parlamentssitz Straßburg als Symbol für die besondere Stellung Frankreichs in der Europäischen Union. Alois Berger
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