: Mäuler und Schnebel
■ Atmend, kratzend und erzählend ehren „Die Maulwerker“ in der HdK heute den Komponisten Dieter Schnebel
Er selbst ist diesmal nicht dabei. Aber er glänzt auch noch in Abwesenheit: „... und um Schnebel herum“ nennen „Die Maulwerker“ ihr neues Programm, mit dem sie dem Komponisten und Pädagogen Dieter Schnebel ihre Reverenz erweisen.
Eine eigenwillige Reverenz allerdings: Die 1978 von Schnebel an der HdK gegründete Musiktheatergruppe präsentiert mit E-Gitarre und „gekratzten Beinen“, mit Flüstertüten und Straßenlaterne vor allem eigene Werke. Zu sehen sind Facetten einer experimentellen Musiktheaterarbeit, die zwar noch den Einfluß Schnebels ahnen lassen, die aber für sich stehen – vielfältig, originell und extravagant.
Auf der Bühne sitzt einer ganz allein hinter einem Tisch, aus dessen Schublade er fortwährend Dinge zieht (was, wird nicht verraten). Dabei erzählt er unentwegt lustige Geschichten ohne Ende und Anfang, Fragmente in englisch, japanisch, deutsch und so weiter. Was für Geschichten? Natürlich Schnebel-Geschichten. Diese fügen sich zu einem sprachlich-musikalischen Mosaik, in dem sich die Person des Erzählers allmählich immer stärker in den Vordergrund drängt. „Des Kleinen Übergewicht“ heißt denn auch die virtuos verdichtete Reminiszenz.
Außerdem treffen wir auf eine Straßenlaterne, die, von ihrer Funktion als Requisite emanzipiert, einen eigenen gewichtigen Auftritt bekommt. Eine wildgewordene E-Gitarre spielt ein Rondo über b a b a c h, ein einsamer Dirigent führt seine virtuosen Meisterstückchen vor, es gibt ein Kratz-Konzert für zwölf Beine.
Prominenter Höhepunkt ist schließlich die szenische Neuinszenierung der „Maulwerke“ von Schnebel. Auf einer schiefen Bühne in Schwarz stehen zwischen Verkehrszeichen sechs eigentümliche Gestalten, sechs Trichter auf Beinen, reglos, wartend, vollkommen still.
Doch während die Gesichter im Dunklen bleiben, treten schleichend und leise Klänge hervor, schwillt Atem beiläufig an und ab. Die Trichter werden zum Publikum gedreht. Endlich werden die Klänge, wird die Klangerzeugung sichtbar. Die Gesichter erscheinen wie in einem Lichtkegel fokussiert. Münder öffnen und schließen sich, einsame Rufe, synthetische Lacher, Explosivlaute brechen daraus hervor.
Die Gruppe der Maulwerker hat im Fundus der Erfahrung gewühlt und dabei Neues zutage gefördert. In den langen Jahren der Zusammenarbeit hat die Gruppe in wechselnden Besetzungen experimentelle Musik- und Theaterstücke von Cage, Stockhausen und natürlich immer wieder Schnebel aufgeführt (zuletzt die „Museumsstücke“ in Frankfurt und Köln).
In der gemeinsamen Arbeit hat sich eine eigene Ästhetik herausgebildet, in der sich Traditionslinien aus Fluxus-Bewegung und Sprachkompositionsgeschichte verschränken, und in der die Grenzen von Musik und Theater, Sprache und Gestik, Experiment und Konvention ineinanderfließen.
Was die Gruppe jedoch vor allem auszeichnet, ist die unheilige Allianz von Unsinn und tiefer Bedeutung. Hier wird Kunst augenzwinkernd auf sich selbst bezogen, ohne abgehoben zu erscheinen, hier sind Aktionen vollständig absurd, ohne in Albernheit abzugleiten.
Der diskrete Charme, mit dem die Maulwerker noch die kleinsten Momente darbieten, resultiert aus dem tiefen Ernst, mit dem sie Sinnloses verkörpern, resultiert aus der respektvollen Darbietung vollends respektloser Szenen. Kunst wird gleichzeitig präsentiert und in Frage gestellt. Und zwar auf eine Weise, die auch diejenigen ermuntern dürfte, die mit neuer Musik sonst eher wenig am Hut haben. Christine Hohmeyer
„Die Maulwerker“: „... und um Schnebel herum“, heute, 19.30 Uhr im Theatersaal der Hochschule der Künste, Fasanenstraße 1b, Charlottenburg. Der Eintritt ist frei, Platzkarten sind an der Abendkasse abzuholen.
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