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Autos gehen vor Menschenrechte

Gestern besuchte der chinesische Ministerpräsident Stuttgart / Die Straßen wurden abgesperrt, der Empfang war herzlich, die Politiker sprachen nicht über Menschenrechtsverletzungen  ■ Von Rainer Frick

Wie sagte der frühere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger vor 20 Jahren? „China, China, China.“ Heute würden die meisten Politiker und Wirtschaftsführer in Schwaben antworten: „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft.“ Entsprechend höflich wurde der chinesische Ministerpräsident Jiang Zemin zum Auftakt seines Deutschlandbesuches denn auch im „Reich des Automobils“ empfangen. In keinem anderen Bundesland hängen so viele Arbeitsplätze von der Automobilindustrie ab. Geht es aber um die Menschenrechte in China, fragt Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) lieber nicht nach: „Wenn ich einen Gast einlade, dann kann ich ihn doch nicht beschimpfen.“

Verschiedene Friedensgruppen, Mitglieder von amnesty international, der Tibet-Initiative und chinesische Studenten war soviel vorauseilende Gastfreundschaft für den Führer aus dem Reich der Mitte dann doch zuviel. Mit Transparenten und Trillerpfeifen verschafften sie ihrem Unmut auf dem Platz vor dem Neuen Schloß Luft. Zahlreiche Polizisten sorgten dafür, daß sie nicht den Hauch einer Chance hatten, auch nur in die Nähe des chinesischen Präsidenten zu kommen. „Höchstens die Trillerpfeifen dürfte Herr Ziang gehört haben“, meinte ein Einsatzleiter der Stuttgarter Polizei nicht ohne Stolz über den „gelungenen Polizeieinsatz“.

Die Stuttgarter fanden den Polizeirummel um Jiang Zemin nicht ganz so gelungen. Stundenlang standen Zigtausende im Stau, weil die Zufahrtsstraßen vom Echterdinger Flughafen in die Innenstadt von der Polizei am Dienstag nachmittag gesperrt worden waren. Auch in der Bevölkerung scheinen die Wirtschaftsbeziehungen vor den Menschenrechten zu kommen. Eine Blitzumfrage des Süddeutschen Rundfunks ergab: Bei Wirtschaftsgesprächen haben Menschenrechte nichts zu suchen. Die Schwaben waren in Gelddingen schon immer sehr pragmatisch. Im Inneren des ehrwürdigen Neuen Schlosses hatte sich derweil alles versammelt, was in der baden-württembergischen Wirtschaft Rang und Namen hatte. Topmanager von Bosch, Daimler- Benz oder Porsche sprachen mit dem Gast über neue Großprojekte. Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp zitierte hinterher sogar Mao, um den Gesprächserfolg zu dokumentieren. „Wir stehen vor einem Riesensprung auf den chinesischen Markt,“ Gleichzeitig verkündete Schrempp den „Durchbruch“ für den Bau einer Großraumlimousine in China.

Das Projekt soll gemeinsam mit der South China Motor Corporation auf den Weg gebracht werden. Es ist mit einem Investitionsvolumen von 1,4 Milliarden Mark das einzige Automobilprojekt, das die chinesische Regierung bis zum Jahr 2000 verwirklichen will. Dem schwäbischen Nobelkarossenhersteller scheint es damit gelungen zu sein, den amerikanischen Konkurrenten Chrysler aus dem Feld zu schlagen. 60.000 Großraumlimousinen sollen in nicht allzuferner Zukunft vom Band rollen, zusätzlich noch 100.000 Benzin- und Dieselmotoren. Auch bei der Busproduktion kamen sich Mercedes und die Chinesen näher. Ergebnislos verliefen allerdings die Gespräche für das geplante Familienauto der Chinesen. Automobilhersteller aus aller Welt haben im Reich der Mitte ihre Vorschläge eingereicht.

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