piwik no script img

Die Protesterklärungen französischer und britischer Politiker nach dem Fall Srebrenicas sind nicht ernst zu nehmen. Die Serben werden jetzt weitere Enklaven aufrollen, und Chirac und Major werden damit zufrieden sein Aus Genf Andreas Zumach

Das Doppelspiel von Paris und London

Erst mußten die Karadžić-Serben Srebrenica überrennen. Dann gaben sich die beiden Staaten, die die Hauptkontingente der Blauhelmtruppen halten und ihre Oberbefehlshaber stellen, entschlossen. Frankreichs Präsident Jacques Chirac erklärte, die „Schnelle Eingreiftruppe“ für Bosnien solle zur „Rückeroberung“ der UNO-Schutzzone eingesetzt werden. Und der britische Premierminister John Major versicherte seine „volle Unterstützung“ für die Luftangriffe, mit denen die Nato am Dienstag nachmittag zwar zwei serbische Panzer zerstört, den Fall der ostbosnischen Muslimenklave aber nicht verhindert hatte.

Diesen Anschein von Entschlossenheit haben französische und britische Regierungspolitiker seit der Geiselnahme von 400 Unprofor-Soldaten durch die Karadžić-Serben Ende Mai durch zahlreiche ähnliche Äußerungen erweckt. Bislang folgten keine Taten. Aus der mit großen Worten angekündigten Eingreiftruppe, die unter anderem einen Versorgungskorridor von der Adriaküste nach Sarajevo schaffen und dauerhaft sichern sollte, wurde lediglich eine Verstärkungstruppe für die Unprofor mit exakt demselben unzulänglichen Mandat.

Am letzten Wochenende sollten die französischen Unprofor-Verbände laut einer Bekanntgabe Chiracs eigentlich die über den Berg Igman verlaufende Straße nach Sarajevo besetzen und so gegen serbische Angriffe sichern, daß humanitäre Hilfskonvois künftig ungefährdet passieren können. Statt dessen trafen sich der Oberkommandierende der Unprofor-Truppen in Ex-Jugoslawien, der französische General Bernard Janvier, und der für Bosnien zuständige Oberkommandeur, der britische General Rupert Smith, in Genf mit UNO-Generalsekretär Butros Ghali und dessen Sonderbeauftragtem Yasushi Akashi.

Janvier und Smith erklärten, die Sicherung der Route über den Berg Igman sei unrealistisch. Daraufhin einigte sich die Genfer Runde darauf, mit den Karadžić- Serben über eine Öffnung der über Kiseljak verlaufenden Straße nach Sarajevo zu „verhandeln“.

Wie ernst Chiracs jüngste Äußerungen über eine Rückeroberung Srebrenicas zu nehmen sind, machte in der Nacht zum Mittwoch sein New Yorker UNO-Botschafter Jean-Bernard Mérimée am Rande der Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates deutlich. Der Rat berät über einen von den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien eingebrachten Resolutionsentwurf zur „Wiederherstellung des Schutzzonen-Status von Srebrenica“. Zur Vertreibung der serbischen Eroberer aus der Stadt soll laut Entwurf notfalls Gewalt eingesetzt werden. Möglicherweise scheitert der Entwurf am Einspruch von Rußland und China, die bereits Bedenken angemeldet haben. Wird der Entwurf beschlossen, werde Gewalt allerdings „nur angewendet, wenn die Unprofor- Kommandeure dieses verlangen“, erklärte Mérimée.

Tatsächlich sollen die entschlossen klingenden Äußerungen aus Paris und London darüber hinwegtäuschen, daß der Fall Srebrenicas ganz dem britisch- französischen Drehbuch für eine „Lösung“ des Bosnienkonflikts entspricht.

Nach diesem Drehbuch werden die Karadžić-Serben schon bald auch die UNO-„Schutzzonen“ Žepa und Goražde sowie möglicherweise Bihać im Nordwesten einnehmen. Dann wird die Unprofor diese „Schutzzonen“ ebenso aufgeben wie Srebrenica. Es geht um die „Bereinigung“ der Landkarte, um eine klare West- Ost-Teilung Bosniens ohne „störende“ Enklaven. London und Paris (und auch Moskau) setzen darauf, daß dann auch Deutschland und die USA bereit sind, den bisherigen 51:49-Prozent-Teilungsplan der Kontaktgruppe zu revidieren und den militärischen Frontlinien anzupassen.

Unter dem Druck der Kontaktgruppe, so das britisch-französische Kalkül, wird sich schließlich selbst die Regierung in Sarajevo in die Realitäten fügen. Als Druckmittel dient die Drohung mit dem vollständigen Abzug der Unprofor. „Falls die Kriegsparteien nicht bald deutlich wieder nach einer politischen Lösung suchen, ist die weitere Anwesenheit der Blauhelme gefährdet“, erklärte Major am Dienstag. Diese Äußerung unterschlägt, daß die bosnische Regierung den Kontaktgruppen-Plan vor einem Jahr bedingungslos akzeptiert hat, die Karadžić-Serben ihn aber bis heute ablehnen.

Der Verschleierung der britisch-französischen Interessen diente in den letzten zwei Jahren auch immer die Legende, es gebe einen Konflikt zwischen der UNO und der Nato über den Einsatz von Luftstreitkräften der westlichen Militärallianz. In Hunderten von Politikeräußerungen, Medienberichten und -kommentaren wurde die UNO als Versager, als zögerlich, feige oder serbenfreunlich dargestellt – die Nato hingegen als entschlossen, handlungsfähig und -bereit.

Die Fakten lassen von dieser Legende nichts übrig: Mit seiner Resolution 836 beauftragte der UNO-Sicherheitsrat im Juni 1993 die Nato mit dem Einsatz von Luftstreitkräften zum Schutz angegriffener Blauhelme sowie der sechs UNO-Schutzzonen. Rußland stimmte der Resolution nach starken Bedenken zu. Es folgte eine monatelange Diskussion im Nato- Rat, bei der Großbritannien, Frankreich und Kanada unter Berufung auf die Gefährdung ihrer Blauhelme zunächst den erforderlichen einstimmigen Beschluß der 16 Mitglieder zur Umsetzung des vom UNO-Sicherheitsrat erteilten Auftrages verhinderten.

Unter dem Eindruck des Massakers auf dem Marktplatz von Sarajevo Anfang Februar 1994 stimmten London, Paris und Ottawa schließlich zu.

Zugleich setzten Frankreich und Großbritannien ein Verfahren durch, das ihnen bestimmenden Einfluß auf künftige Entscheidungen über den Einsatz von Nato- Luftstreitkräften sicherte: diese müssen vom lokalen Befehlshaber einer angegriffenen Unprofor- Einheit bzw. dem Unprofor-Chef in einer angegriffenen UNO- Schutzzone beim Unprofor-Oberkommandierenden in Sarajevo (seit 1993 immer ein Brite) angefordert werden. Dieser kann gemeinsam mit dem Oberkommandeur in Zagreb (seit 1993 immer ein Franzose) die Anforderung ablehnen, oder sie sich zu eigen machen und an die politische Führung der UNO weitergeben. Akashi/Butros Ghali können dann Luftangriffe beim zuständigen Nato-Kommando Süd in Neapel anfordern.

Seit dem Sicherheitsratsbeschluß vom Juni 1993 fanden bis zum April 95 nach diesem Verfahren insgesamt neun Einsätze von Nato-Luftstreitkräften statt, aber es gab eine Vielzahl von Fällen, in denen ein lokaler Unprofor-Kommandeur Nato-Einsätze angefordert hatte. Diese Einsatzwünsche wurden sämtlich bereits von den Generälen Smith und Janvier (beziehungsweise von ihren Vorgängern) abgelehnt und der politischen Führung der UNO gar nicht erst vorgelegt. So auch nach Beginn der serbischen Offensive gegen Srebrenica am letzten Donnerstag: Am Sonntag und Montag forderte der Kommandeur der niederländischen Unprofor-Einheit in Srebrenica, Ton Karremans, in Sarajevo Nato-Luftstreitkräfte an. Smith und Janvier lehnten zweimal ab. Erst am Dienstag mittag gaben sie den Wunsch von Karremans an Akashi weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen