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Patriarchale Posse

■ Wenn sich der Gesetzgeber in Familienangelegenheiten einmischt: Egal, was die Mutter sagt: als Kindsvater gilt der Ehemann – bis 302 Tage nach der Scheidung.

Keine acht Monate ist die kleine Lina*alt, und schon will sie vor Gericht ziehen: Gegen einen Mann, der ihr im Standesamt automatisch als leiblicher Vater eingetragen wurde – obwohl er nicht ihr Erzeuger ist. Und obwohl alle den wirklichen Vater kennen.

Ein Versehen? Beileibe nicht. Linas Klage gegen den „falschen Vater“ muß sein. Das Gesetz will es so. Schon seit der Jahrhundertwende geht es von dem – längst umstrittenen – Credo aus: Jedes Kind braucht einen Vater. „Also faßt man nach dem Motto –Haltet den Dieb' den ersten, den man kriegen kann. Das ist in der Regel der Ehemann der Mutter“, sagt ein langjähriger Bremer Familienrichter. Für Lina heißt das: Der Mann ihrer Mutter wurde ihr zum Vater erkoren. Qua Gesetz.

Linas Mutter, Ilka Kanter* ist darüber richtig sauer. Seit 15 Monaten lebt sie nämlich mit ihrem Freund zusammen, ganz offiziell im Trennungsjahr. „Das gehört zur Scheidung – und das Kind zur neuen Beziehung.“ Wer Vater und Tochter sieht, hat keine Zweifel: Das Mädchen ist dem Alten wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch während der die Kleine schon windelt und füttert, teilt Ilka K. sich das Sorgerecht noch mit dem Ehemann. Mit dem verhandelt sie nun nicht nur die Scheidung, sondern seit Linas Geburt auch jede Unterschrift, die das Neugeborene betrifft. Zwangsweise. „Ein Glück, daß wir uns friedlich trennen, sonst hätte er mich in der Hand“, sagt sie.

Trotzdem empfindet die junge Frau das Verfahren als Belastung. „Es ist nicht schön, daß meine Tochter und mein Ex-Ehemann gegeneinander klagen müssen.“ Daß nur diese beiden Personen die Vaterschaft rechtlich anfechten dürfen, ist in den Augen von Ilka K. „eine Erniedrigung der Frau“. Doch Mütter haben vor Gericht kein Einspruchsrecht gegen die Vaterschaft. „Als wüßten wir nicht, wer der Vater des Kindes ist.“

Was für die Familie zum Ausnahmezustand führt, ist bei Standesamt und Amtsgericht derweil „Routine“: Jedes Baby, das innerhalb von 302 Tagen nach einer Scheidung zur Welt kommt, wird automatisch dem Ex-Ehemann zugeschlagen. Auch wenn die Vaterschaftsanfechtungen, die daraus resultieren, nicht gezählt werden, geht man bei Gericht von einer steigenden Dunkelziffer aus. Schuld daran sind hohe Scheidungsraten und das Trennungsjahr. Denn während das Scheidungsrecht reformiert wurde, pflegt das BGB immer noch den Vaterschaftszwang der Jahrhundertwende. Das jedoch kannte kein Trennungsjahr, also zählen die verflixten zusätzlichen 302 Tage der „Ehelichkeitsannahme“ erst ab dem Scheidungsdatum. Das gilt seit der Wiedervereinigung auch in den neuen Bundesländern, wo das mütterliche Einspruchsrecht wieder wegfiel.

„Ein Trennungsjahr, dann der Scheidungsantrag, nach einem dreiviertel Jahr die Scheidung, plus die 302-Tage-Frist“, Vormundschaftsrichterin Sabine Hanken überschlägt schnell, daß dabei „mehr als zwei Jahre“ herauskommen. „In dieser Zeit orientiert sich manche Frau neu und bekommt auch Kinder.“ Diesen Fall erlebt die Richterin häufiger. Bisweilen auch seine drastischen Konsequenzen: „Eine Frau hat sogar abgetrieben, weil sie um keinen Preis wollte, daß der Mann, mit dem sie in Scheidung lebte, in irgend einer Form mit dem Kind zu tun hätte.“

Schon lange hält die Richterin das geltende Gesetz für „schlicht verfassungswidrig“: „Es verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz, daß die Frau kein Einspruchsrecht hat.“ Völlig unbefriedigend sei, daß die Mutter nur anstelle des Kindes klagen dürfe – „aber erst, sobald sie im Scheidungsprozess das Sorgerecht erhalten hat“.

Eine Kritikerin der automatischen Ex-Ehemann-gleich-Vater-Regelung ist auch die Bremer Rechtsanwältin Jutta Bahr-Jendges. „Wir vom Deutschen Juristinnenbund sind schon lange gegen diese Regelung.“ Es sei doch eine Posse, wenn ungewollte Väter zwangsweise ernannt würden – während die Mütter im Zweifelsfall rechtlos bleiben. „Das Eindeutigste ist doch schließlich die Mutterschaft.“

Als Alternative würde die Juristin statt der mutmaßlichen Sperma-Verwandschaft lieber die soziale Fürsorge für das Kind in den Mittelpunkt stellen: „Ausgehend von der mütterlichen Verwandschaftslinie könnte man Zivil-Verträge schließen, mit Menschen, die sorgeberechtigt sein sollen.“ (* Name geändert) Eva Rhode

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