Das ideale Publikum

■ Umfrage: Bremer Kulturschaffende wollen die Massen vor allem bilden und erheben

Eine stärkere Kulturpolitik, die längerfristig plant und eigene Ziele formuliert: So wünschen sich viele der Bremer Kulturschaffenden die Zukunft. Mehr Geld soll natürlich auch her. Aber nicht nur fürs Museum oder den Kulturladen – vor allem experimentelle, aktuelle Kulturproduktionen sollten stärker gefördert werden. Dies sind einige der Ergebnisse einer Umfrage, die bundesweit einmalig ist. Die Pilotstudie der Bremer Uni untersuchte zwei Jahre lang die „Entwicklungstendenzen der Gegenwartskultur“ und befragte dazu mal die Bremer KulturproduzentInnen selbst. Immerhin 315 Personen, also 35 Prozent der Angeschriebenen, antworteten – mit Selbsteinschätzungen, die die Kultur- und Kommunikationswissenschaftler-Innen der Uni überraschten.

Denn die Kulturpolitik soll nicht nur mehr Geld herausrücken, sondern selbst „deutliche Prioritäten setzen“, wie es in der Auswertung heißt. Dafür sprachen sich 64,2 % der Beteiligten aus. Dabei soll die Politik stärker Qualitätsmaßstäbe festlegen (44,3 %) und sogar inhaltliche Akzente setzen (18,4 %). Nur ein knappes Drittel akzeptiert, daß die PolitikerInnen nur über Förderanträge beraten und gelegentlich Geld anweisen: Sie selbst sollen Qualitätsmaßstäbe definieren.

Vom Bremer Publikum hingegen erwartet man offenbar immer weniger. Das „ideale Publikum“ soll „offen und kontaktfreudig“ sein (84,2 % der Antworten), 55,9 % sind dafür, daß das geneigte Publikum möglichst zahlreich erscheinen möge. Ein wenig abgeschlagen rangieren jene, die gern ein ästhetisch gebildetes (38,7 %) oder vorinformiertes Publikum sähen (31,6 %). Die Kulturschaffenden müssen es wissen: 77,8 % glauben nämlich, ihr Publikum einigermaßen realistisch einschätzen zu können.

Da paßt es bestens, wenn die Mehrzahl der Befragten als „Modell von Kultur“ die ästhetische Erziehung vor Augen hat. Kultur als Sinnstifterin folgt auf Platz 2 (57 %). Kultur soll nämlich vor allem die Zwecke der Kommunikation, der Bildung und der Humanität befördern. An den etwaigen Unterhaltungsanspruch, den das Publikum suchen könnte, wird kaum ein Gedanke verschwendet.

All dies „verstärkt nur die ohnehin starke Intellektualisierung und Spezialisierung des kulturellen Diskurses“ – so bewerten es die Leiter des Projekts, Michael Müller und Franz Dröge. Im Kulturdiskurs sucht man „den allerdings äußerst problematischen, weil konfliktträchtigen Schulterschluß mit der Kulturpolitik“ – und zwar „unter Ausschluß des Publikums“. tw

(Siehe nebenstehendes Interview)