Village Voice: Straight outta Crozzhill
■ Ist noch Leben im Berliner SO-36-Sub? Neue Platten zum Kiffen, Rocken und Rebellieren von Gunjah und Pothead
Bevor Bernd Begemann beim letzten Gig im Knaack-Club seinem Wunsch Ausdruck verlieh, dieses Land verstehen zu wollen, erzählte er, daß ihm seine Hamburger Szenefreunde so etwas sehr übelnähmen. Schließlich gehe es doch darum, dieses Land zu zerstören. Doch was, fragte er sich und sein Publikum, würde ein Land mit zerstörter Infrastruktur noch nützen? Es gebe doch schon genug davon. Wenig Verständnis für solche Überlegungen hätten wohl Gunjah aus Kreuzberg oder, wie sie es nennen: Crozzhill. Die sechs aufrechten Jungs aus 10999 Berlin (ehemals Southeast Thirty-Six) beweisen nach „Heredity“ und „Manic Aggression“ mit „Politically Correct?“ erneut, daß sie wissen, wie man Counterinsurgency buchstabiert und wo der Metal-Hammer hängt. Unterstützt von DJ Rakeem, der auch bei Gunjahs Homeboyz von CPS an den Turntables steht, sagt Shouter Danny alias DMD Angry dem Deutschland der Neunziger den Kampf an. Gunjah interpretieren das mit „Rage against the Machine“ berühmt gewordene Crossover-Modell, das den brachialen Slayer-Sound des poor white trash und den Rap, das vielbeschworene „schwarze CNN“, miteinander verbindet, auf ihre Weise und bauen Scratches sogar dort ein, wo sie überflüssig sind. Damit die Tables turnen, fordern sie: Let da streetz burn! Dabei entgeht ihnen, daß es zwischen den Riots in Watts und der ritualisierten 1.-Mai-Randale doch noch feine Unterschiede gibt. Bei so viel authentischer Jugendbewegung spielen kleine Fehlgriffe im Videoclip keine Rolle. Eingeleitet von einer aus der Drive-by-Perspektive abgefilmten Rundfahrt durch den eigenen Kiez, dokumentiert es, um die nötige Straßenglaubwürdigkeit zu sichern, sowohl die Räumung des Kollwitzplatzes als auch das Rumhüpfen beim Live-Act oder Posieren nach Rollins-Art über den Dächern von Berlin. Die neun auf „Politically Correct?“ versammelten Stücke pendeln beständig zwischen Agit-Pop der härteren Sorte, Schleppcore und nervtötendem Pearl-Jam- Grunge. Eine Platte, die in ca. 20 Jahren Kultstatus haben wird.
Sind Pothead die „Götter des Grooves, des Souls und des Blues“? Wohl kaum. Hat ihr singender Slacker Brad Dope die „coolste Stimme seit Jahren“? Ziemlich unwahrscheinlich. Und sind Pothead wenigstens definitiv die „gottverdammt beste Schweinerockband der Welt“? Mit Sicherheit nicht, da sind unter anderem Prollhead! von der Wasserkante vor. Aber dafür gebührt ihrem Leadsänger, der auf der Bühne zur Freude der begeisterten Kiffköpfe im Publikum schon mal an einem richtigen Joint nuckelt und „Everybody must get stoned!“ ruft, zumindest die Auszeichnung für das beste Eddy-Vedder-Double seit geraumer Zeit. Wie der Name sagt, mögen Pothead zwei Dinge: Rock zum Hören, Hasch zum Schmöken. Daß letzteres bekanntlich gleichgültig macht, ist ihnen eher egal, und so haben die zwei ambitionierten College- Punks aus der legendären Seattle Area und ihr Schlagzeuger aus dem nicht ganz so exponierten Olpe/Sauerland glatt verpennt, daß Grunge nicht mehr das große Ding ist – einmal abgesehen von Klassikern wie Mudhoney. Auf ihrer aktuellen CD „Dessicated Soup“ bieten die drei Wahlberliner, die sich durch exzessives Touren eine beachtliche Fangemeinde zusammengespielt haben, biedere Hausmannskost aus dem eigenen kleinen Soundgarden. Ihre 14 nicht gerade komplex aufgebauten Songs wirken im Vergleich mit ihren Vorbildern auf „Bleach“, „Nevermind“ und „In Utero“ wie eine mittelstarke Schlaftablette oder zwei Tüten dehydrierter Suppe. Potheads „Dessicated Soup“ wird wohl ähnlich wie ihr „Rumely Oil Pull Tractor“ Fußnote in der Geschichte des Post-Cobainschen Rock 'n' Roll bleiben – und ihren Platz in den Plattensammlungen derer finden, die ihr schwer erarbeitetes Geld an den Kinokassen abgeben müssen, um aus mediokren Filmchen etwas über ihre Generation X zu erfahren. Gunnar Lützow
Gunjah: „Politically Correct?“ (Modern Music)
Pothead: „Dessicated Soup“ (Orangehaus/EFA)
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