Politik mit „Auschwitz in the sands“

Der BND nutzte geschickt die Beteiligung deutscher Firmen am Bau der Giftgasküche im libyschen Rabta, um seine Abhörbefugnisse ausweiten zu dürfen. Bundesdatenschützer warnte  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Noch ein „Auschwitz in the sands“? Nein, das darf nicht sein! Rainer Kesselring, CSU-Mitglied und erster Direktor beim Bundesnachrichtendienst (BND), wußte, wo er auch seine sozialdemokratische Zuhörerschaft packen kann. Ob die Damen und Herren schon vergessen hätten, was los war, als bekannt wurde, daß das schwäbische Unternehmen Imhausen-Hippenstiel beim Bau der Giftküche im libyschen Rabta mitgemischt hat? Die Damen und Herren, die im April vergangenen Jahres Kesselring bei einer Tagung der Friedrich-Ebert- Stiftung lauschten, hatten natürlich nicht vergessen, war doch „Auschwitz in the sands“ das von US-Medien geprägte Synomym für ein außenpolitisches Versagen Deutschlands.

Geschickt nutzte der BND- Mann die Tagung, um für eine Ausweitung der Lauschbefugnisse seines Dienstes zu werben. „Auschwitz in the sands“, das hätte sich verhindern lassen – wenn der Gesetzgeber nur wollte. Und weil dieser dem Geheimdienst untersagt hatte, „zufällig“ erlauschte Erkenntnisse aus der Überwachung des Fernmeldeverkehrs von und in die Bundesrepublik zu verwenden, müsse auch der Gesetzgeber die Verantwortung mittragen.

Die Argumentation verfing. Mit der Verabschiedung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes im vergangenen Herbst bekam die Pullacher Behörde die heiß ersehnten neuen Rechte.

Die Erkenntnisse aus dem überwachten Fernmeldeverkehr sind aber keineswegs so „zufällig“, wie der Dienst behauptete. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Joachim Jacob, hat im April letzten Jahres bei einer Bonner Anhörung in Sache BND zu Protokoll gegeben: „Es werden nicht zielgerichtet Straftäter, Verdächtige oder deren Kontaktpersonen überwacht. Vielmehr wird bewußt dann jedermann einbezogen, wenn mit Teilnehmern im Ausland kommuniziert wird.“

Jacob nannte erstmals Umfang und Dimension der Pullacher Lauschaktionen. Täglich würden an die 4.000 Gespräche zur weiteren Bearbeitung ausgewertet. In einer ersten Stufe werde technisch ein Rasterabgleich mit einer „Wortbank“ durchgeführt, in die die „Suchworte“ zu den Bereichen Rauschgift und Proliferation eingegeben sind. Die so aus dem Äther gefilterten einzelnen Fernmeldeverkehre würden anschließend in einer zweiten Stufe „von BND-Mitarbeitern auf ihre konkrete Relevanz überprüft“. Unter dem Strich bedeute dies, „daß mehrere hunderttausend Gespräche betroffener Bürger täglich aufgezeichnet wurden“.

Der Datenschützer zog den Sinn der Überwachung in Zweifel. Angesichts leicht handhabbarer Verschlüsselungstechniken müsse gerade im Bereich der organisierten Kriminalität davon ausgegangen werden, daß „solche naheliegenden Schutzmechanismen genutzt werden“. Mit dem „Kescher im Äther“ würden doch nur die kleinen Fische gefangen.

Der Leiter des „Forschungsinstitutes für Friedenspolitik“, Erich Schmidt-Eenboom, der als einer der intimsten Kenner des BND gilt, wirft dem Pullacher Dienst vor, auch Inlandsgespräche zu überwachen. Nach seinen Angaben richtet der BND seine Abhörantennen auf die Funkstrecken, über die mehr als 50 Prozent des innerdeutschen Telefonverkehrs laufen. Bei interessanten Gesprächen versuche der Dienst, die Teilnehmer zu ermitteln. Er gebe diese dann in ein elektronisches Suchsystem, so daß dann alle Gespräche von diesen Apparaten automatisch mitgeschnitten werden. Die BND- Technik reiche, den Telefonverkehr der Bundesrepublik flächendeckend zu kontrollieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun vorgestern mit einer einstweiligen Anordnung dem BND untersagt, die „zufälligen“ Erkenntnisse auszuwerten – es sei denn, es gibt begründete Anhaltspunkte für eine geplante Straftat.

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