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Aber mit Niveau!

■ 1.000 Schlager, unzählige Drehbücher, einmal Hollywood und zurück: Max Colpet, Künstler und Kaffeehausmensch, wird 90

taz: Woran erkennt man einen guten Schlager, Herr Colpet?

Max Colpet: Man erkennt ihn daran, daß er eine sehr treffende Zeile hat. Das Wichtige ist, daß der Schlager ein Gefühl anspricht und daß er ein Gefühl auslöst. Aber mit Niveau. Es darf nicht „Ballaballa“ oder „Bla, bla, bla“ sein. Es muß ein Bekenntnis sein, eine Zeile, die jeder hätte sagen können.

Nicht alle Ihre Schlager waren so anspruchsvoll!

Nein. „Bohnen in die Ohren“ für Gus Backus war eine Pest. Damit habe ich mehr verdient als mit manchem anspruchsvollen Text. Unter 1.000 Texten kann man auch mal etwas Leichtes bringen.

Wann und wo ist Ihnen Ihre berühmteste Liedzeile eingefallen: „Sag mir, wo die Blumen sind“?

Im Jahr 1945 kam ich aus der Schweizer Internierung nach Paris und erlebte, wie dort im Olympia Marlene Dietrich vor 3.000 alliierten Soldaten Pete Seegers Lied „Where have all the flowers gone“ sang. Ich war sehr beeindruckt, und ich fragte sie, ob sie das Lied auch singen würde, nachdem ich es für sie ins Deutsche übersetzt und bearbeitet hätte. Niemand bringt es bis heute so toll.

Ihre deutsche Fassung von „Universal Soldier“ war weit weniger erfolgreich...

Weil die Deutschen Protestsongs im Grunde gar nicht hören wollen. Man muß über seinen Schatten springen können, und der Deutsche ist kein sehr guter Schattenspringer.

Fast 70 Jahren liegen Ihre Anfänge jetzt zurück...

Es war im „Kabarett der Namenlosen“, wo ich zum ersten Mal meine Gedichte vorgetragen habe. Die Leute sind hingekommen, um sich vor Lachen auszuschütten, es waren wahnsinnig viele Amateure dabei. Ich wurde dann conferiert: „Jetzt kommt Krax Molpe.“ Mir blieb nur die Spucke weg! Ich sagte: „Mein Gott, Sie können nicht mal meinen Namen richtig aussprechen! Ich bin Max Kolpe!“ Danach habe ich mein Gedicht vorgetragen. Das war ein ehrlicher Erfolg. Später habe ich eine Revue „Junge, Junge“ geschrieben, in der ist Erich Ode zum ersten Mal aufgetreten – mit kurzen Hosen.

Wir, das waren Erich Kästner, Werner Finck, Günther Schwenn, haben für fünf Mark am Abend gearbeitet und waren glücklich, weil wir uns dann bei Aschinger ein paar Würste kaufen konnten.

Das legendäre Romanische Café war Ihre zweite Heimat...

Ich hatte einen Hund, der war weggelaufen. Wie ich ihn suchte, kam ich ins Café, und da saß er auf einem Stuhl. Im Maul hatte er mein Stifte-Futteral – als wenn er sagen wollte: „Geh mal lieber nach Hause und schreibe!“ Das waren natürlich Freunde, die ihm das in das Maul gelegt hatten.

Ich werde auch nie vergessen, wie ich mit meinem Theaterstück „Reportage“ durchgefallen war. Das schlimmste war, danach ins Romanische Café zu gehen, unter den Kollegen sozusagen Spießruten zu laufen. Und da sagte Billy Wilder: „Ach! Mach dir doch keine Sorgen, Max. Wer liest schon die B.Z.?“ Die B.Z. war wie die Bild heute die meistgelesene Zeitung.

Billy Wilder war damals 19...

Ja, er kam aus Wien. Anfangs haben wir zusammen die letzte Mark geteilt, um den Kaffee zu bezahlen. Später haben wir gemeinsam Filme für die Ufa geschrieben, lauter Liebeskomödien wie „Madame wünscht sich keine Kinder“ oder „Das Blaue vom Himmel“. Man ist sich immer wieder – so auch mit Marlene – in entscheidenden Momenten in anderen Städten begegnet, ob das in Paris war oder an der Côte d'Azur oder in Palm Springs oder in der Schweiz. Immer wieder traf man sich und hat sich kollegial geholfen, wenn man es nötig hatte.

Ihr berühmtes Lied „Allein in einer großen Stadt“ war Ihr erstes Lied für Marlene...

Das Tragische war für mich, daß aus dem Lied Wahrheit wurde, daß Marlene, die dieses Lied dann kreiert hat, später wirklich so allein war, wie sie es in dem Lied besungen hat. In Paris in dem kleinen Zimmer, mit Muskelschwund. Wie ein Tier, das sich verkriecht. Und dann stirbt.

Neben Billy Wilder war Marlene Dietrich die zweite große Freundschaft in Ihrem Leben...

Wir waren dauernd in Kontakt, telefonisch, persönlich oder per Brief. Sie haßte es nur, daß man mit unwichtigen Geschichten Zeit verlor. Sie war ein sehr realistischer Mensch.

Wie haben Sie den Aufstieg der Nazis erlebt?

Wir machten mit dem Kabarett zunächst weiter und waren selbst dann noch frech, als die Nazis schon an der Macht waren. Ich habe ein Lied geschrieben für Ingrid Peters, eine junge und begabte Künstlerin mit flammend rotem Haar: „Ja, das Rote ist meine Note, Gott sei Dank. Ein einziges Klimpern mit meinen Wimpern – und alle sind verrückt nach mir durch die Bank. – Ja, seitdem der Hitler mir gesehn, will er nur noch mit die Roten gehn.“ Sie wurde von der Bühne geholt. Aus Verzweiflung hat sie sich in die Spree gestürzt, konnte aber gerettet werden.

Sie selbst mußten im April 1933 wegen einer Inszenierung von Wilhelm Tell flüchten?

Anstelle des berühmten Hutes hing ein braunes Hemd auf der Stange. „Er hat dem Hemd nicht genug Reverenz erwiesen“, wurde dem armen Wilhelm Tell vorgeworfen. Er antwortete heldenhaft: „Tut mir leid, ich habe keine Referenzen da.“ Ich wußte dann, daß ich gesucht werde, habe mich gar nicht mehr in meine Wohnung getraut. Das Auto habe ich in der Garage stehen lassen, bis ich endlich mein Visum hatte.

Ich hatte großes Glück. Ich hatte einen russischen Namen gehabt, Kolpinitzky. In Frankreich habe ich mich Colpet genannt, und in Amerika wurde aus Colpet Colby. Meine Frau heißt Colby. Manchmal ist es sehr schwierig mit verschiedenen Namen, aber es hat auch seinen Vorteil, wenn man unter allen Namen gesucht wird.

Sie haben unzählige Drehbücher geschrieben. Hatten Sie nicht auch mal Ambitionen, einen Film zu machen?

Nein. Ja. Ich will sagen, ich habe immer als Assistent gearbeitet. Aber ich glaube, daß ich die Arbeit der Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe, nicht leisten könnte. So bleibe ich lieber ein gesuchter Autor als ein kleiner Assistent oder ein schlechter Regisseur.

Wie haben Sie als Drehbuchautor gearbeitet?

Unter sehr verschiedenen Bedingungen. Bei Rossellini habe ich die Dialoge zum Teil in Italien und in Berlin auf der Straße geschrieben. Da gab es kein festes Drehbuch. Bei Wilder ist das anders. Wilder sagt immer: „Meinen Film kann auch mein Assistent drehen, weil alles drinsteht.“ Früher gab es Drehbücher, die waren so schwer, daß der Assistent sie tragen mußte. Es war nichts dem Zufall überlassen.

Wie schreibt man ein gutes Drehbuch?

Wenn man als Autor arbeitet, dann muß man ... – Ich werde eine Szene mit Kurt Tucholsky und Siegfried Jacobsohn, dem Chef der Weltbühne, nicht vergessen. Tucholsky hatte einen seiner ersten Artikel geschrieben. Jacobsohn rief ihn und sagte: „Ich versteh' das nicht ganz.“ – „Ja, das meine ich so“, antwortete Tucholsky. „Wenn du das so meinst, dann schreib es!“ Billy Wilder hat einmal gesagt: „Es genügt nicht, daß jemand eine Hose verliert, ein anderer muß sagen: ,Schau, er hat die Hose verloren!‘“

1948 sind Sie aus Deutschland weggegangen – nach Hollywood.

Billy Wilder hat mir geschrieben: „Was machst du noch in dem verstaubten Europa, komm doch nach Hollywood!“ Er war allein, hatte sich scheiden lassen und langweilte sich wahrscheinlich in seinem großen Haus. Ich sah darin einen Wink des Schicksals. Ich bin zwar ein unverbesserlicher Optimist, aber der Optimismus war für mich in Deutschland dann doch verflogen.

Der Traum vieler, in Hollywood Erfolg zu haben, brachte aber auch eine verschärfte Konkurrenzsituation unter den Emigranten.

Ich kam ja erst 1948. Ein Amerikaner oder jemand, der dort lange gelebt hat, schreibt eine Geschichte in einer Nacht. Ich brauche eine Woche dazu, um eine Story in der englischen Sprache umzusetzen.

Durch ihre Arbeit haben Sie in Hollywood und anderswo mit unzähligen Stars wie Jean Gabin, Anna Magnani, Anthony Quinn zu tun gehabt.

Das sind auch Menschen! Ich habe immer Freundschaft erlebt, keinen Snobismus. Die großen Stars sind einfache Menschen. Sie haben Achtung vor Ihrer Arbeit, tun ihre Arbeit. Die Halbtalente geben hingegen an, als ob sie die Welt erobern würden. Am meisten nervten die Gabor Sisters, Zsa Zsa Gabor mit ihren zwei Schwestern. Drei Hennen, die ein Ei gelegt haben.

In Amerika sagt man sogar „Lay an egg“ – das heißt soviel wie: einen Flop machen. In Hollywood haben viele ein unsichtbares Schild um, auf dem steht, wieviel man in der Woche verdient.

Sie nicht?

Geld hat mich nie interessiert. Ich brauchte es, aber ich habe nie danach gestrebt.

Sind Sie aus Enttäuschung über Hollywood 1954 nach Deutschland zurückgekehrt?

Ich bin von dort weg, weil ich mit meiner künstlerischen Arbeit an die Sprache gebunden bin. Ich muß die Zwischentöne – die Feinheiten, Slang und Jargon, alles – beherrschen. Ich schreibe englisch, ich schreibe französisch, aber ich würde mir nie einbilden, daß ich wie ein englischer oder französischer Autor arbeiten könnte.

Wo wären Sie denn gerne geblieben?

Wenn man bleiben wollte, konnte man nicht mehr bleiben, weil irgendwie eine höhere Gewalt kam. Entweder kam eine Ausweisung oder es kam der Krieg. So konnte ich mir nie eine Bleibe schaffen.

Aber Sie verstehen sich...

...als Weltbürger. Ich habe in so vielen Ländern gelebt – Italien, Österreich, Frankreich ...

Nicht alle hatten diesen Optimismus. Viele Exilanten fühlten sich ihr Leben lang entwurzelt.

Das Schlimmste ist, wenn man nur in der Vergangenheit lebt. Dieses ewige „Das war so“, das ist ja auch alles verlogen. Ich werde eine Szene nie vergessen: In New York saßen die Emigranten zusammen und redeten von besseren Zeiten. Ein Mann saß schweigend dabei. Er hatte einen kleinen Hund bei sich. Plötzlich sagte er: „Und das war mal ein Bernhardiner.“ Interview: Sabine Pollmeier

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