: Baseballcap verkehrt herum
Mädchen möchten nur ihren Spaß: In „Fun“ von Rafal Zielinski gehört die Ermordung einer alten Dame dazu. Hat das vereinzelte Auftreten von Riot Girls so erschreckt, daß nun Filmsalven abgeschossen werden müssen? ■ Von Anke Westphal
Wenn Frauen zu sehr leiden, morden sie. Der Tod steht ihr gut, meint der Trend dieser Tage und schickt, auf daß sich der Eros-Thanatos-Effekt verdopple, das weibliche Killerduo ins Rennen: „Thelma und Louise“, „Heavenly Creatures“, „Butterfly Kiss“ und jetzt „Fun“. Riot Girls?
„Uns bleibt nur, den Regisseuren für das in uns gesetzte Vertrauen zu danken“, schrieb eine Kollegin während der Berlinale, und doch ... Los Angeles ist hart, eine Jugend in Los Angeles noch viel härter. Am Ende eines langen, ereignisreichen Tages werden die vierzehnjährige Bonnie und die fünfzehnjährige Hillary kichernd und Arm in Arm im Bett aufgegriffen. Das ist schon schlimm genug, denn der Verdacht unmündigen Lesbentums drängt sich Polizei und Psychologin geradezu von selbst auf. Noch schrecklicher aber ist, daß Bonnie und Hillary eine alte Frau ermordet haben: Girls just wanted to have fun.
„Fun“ heißt Rafal Zielinskis Film über zwei Teenager-Mörderinnen; er basiert auf einem authentischen Fall. Bonnie und Hillary – Namen wie Hinweisschilder – haben den falschen Gott. Sie rauchen, kiffen, wollen mit dreizehn keine Jungfrauen mehr sein, tragen die Basecaps verkehrt herum und klauen ihr Make-up im Kaufhaus. Sie lieben Ninja Turtles, den als Schläger bekannten Axl Rose und L 7, aber nicht Drew Barrymore, denn die ist eine uncoole „Pussy“. Statt Hausaufgaben zu machen, schreiben Bonnie und Hillary Tagebuch oder Gedichte. Ihre Loverboys betrügen oder schlagen sie. „Kerle sind Wichser“, findet Hillary.
Später erfährt der Zuschauer, daß ein Gutteil der verlautbarten Traumata jeglicher Realität entbehrt. Die Mädchen leben ohne verläßlich funktionierendes Korrektiv – das bildet den geheimen Mittelpunkt von „Fun“. Bonnie und Hillary sind allein, die Eltern kümmern sich einen Dreck um sie, und Freunde oder Schulkameraden sind auch irgendwie nicht vorhanden – ein gefährlicher Freiraum für die geheimen Verführer. Als Bonnie und Hillary sich eines Tages an der Bushaltestelle begegnen, stimmt die Chemie sofort, und was sonst nicht stimmt, wird zurechterzählt. Hillary wurde von ihrem Vater vergewaltigt; trotzdem hat sie sein Foto in ihrer Schreibkladde: „Das war schon o.k.“ Damit Bonnie etwas Adäquates zu bieten hat, erfindet sie einen inzestuösen Bruder. Bonnies und Hillarys Seelenverwandtschaft gründet auf einer Lüge, und auch die Vorstellung der Mädchen darüber, wie das Leben denn so sein sollte, ist eine kullerbunte Lüge.
Da kann der Alltag nicht mithalten, deshalb muß er überwunden werden – mit Aktion, Farben, Tempo und dem ganz besonderen Freizeitspaß. Erst werfen Bonnie und Hillary kleine Steinchen von der Highway-Brücke, und man hört, wie ein Auto schleudert. Sie phantasieren über Selbstmord, dann über das Töten, und schließlich müssen sie ES sich beweisen: Sie zerfleischen eine liebe Oma mit dem Küchenmesser. Blut rinnt ins Waschbecken, Polizeisirenen. Der Mord hebt Bonnie und Hillary endlich aus der Bedeutungslosigkeit heraus. „Ich denke daran, wie toll ich mich fühle“, sagt Bonnie, als ES geschehen ist, und Hillary fand schon immer: „Normal zu sein, ist echt ätzend.“ Mehr Gründe braucht es nicht. „Fun“ arbeitet sich in der Spirale des inneren Drucks rasant nach oben, zum erlösenden Megakick.
Natürlich schwarzweiß und im Hochsicherheitstrakt der Jugendstrafanstalt endet, was neonbunt, fröhlich und vital begann. „Fun“ widmet sich weniger dem Mord als vielmehr seinen Folgen für die Mörderinnen, der Haft, der zerstörten Leben, der Analyse. Der Regisseur löst seinen eigenen Konflikt, seine Unentschiedenheit zwischen der Moral, die verurteilen muß, und der Faszination durch das Schöne und Böse, philosophisch wie ästhetisch in eindeutigen Schablonen: Engel und Monster, greller Videoclip und karger Dokumentarfilm, Kinder versus Erwachsene, die wahre Geschichte versus Medien. „Fun“ erzählt in der Rückblende. Bonnie und Hillary werden im Gefängnis nicht von ihren Eltern, sondern von einem Journalisten besucht, der sinnträchtigerweise bei einem „Tomorrow Magazine“ arbeitet. John, dessen Sensibilität immer wieder vom Ehrgeiz eingeholt wird, will die Story der beiden schreiben.
Daß die Mädchen sich ihm verweigern, daß die zuständige Gefängnispsychologin Jane sich an zweihundert gleichzeitig zu betreuenden Fällen überarbeitet, soll Symbolgehalt und Lehrwert haben. Schaut auf dieses schwarzweiße Elend, den Käfig, eine Metapher für den Zustand der Welt, in dem Mörderinnen, Journalist und Psychologin gleichermaßen gefangen sind. Die Kamera wackelt der hypermotorisch tobenden Bonnie hinterher, sie fährt die Betonwände entlang. Sie zeigt elfenhafte Gesichter – all das greift entschlossen ans Herz, obwohl Zielinski doch Mitleid ebenso vermeiden wollte wie Schuldzuweisungen und Freispruch. Dennoch: Daß die Mädchen eingesperrt und auseinandergerissen werden, kommt einem irgendwie falsch vor – sie sind doch noch so jung und so süß, auch wenn sie nichts bereuen. Bonnie und Hillary können ja wohl nichts für ihre fehlgeleitete Auffassung vom Gemeinschaftserlebnis. Wo bleibt das Verbrechen, fragt man sich da doch, wenn man sich endlich freigeschwommen hat aus dem Sog dieser anbetungswürdig klaren Kausalkette?
Der Film ist dankenswerterweise nicht lustig, dafür aber pseudoreligiös. Händels „Messias“ unterfüttert die Hinrichtung der freundlichen alten Frau mit Kreuzigungspathos. Bonnie begeht im Gefängnis Selbstmord, und Hillary bleibt einsam, aber auf dem Weg der Läuterung zurück.
„Fun“ möchte das Psychogramm der Mörderinnen zeichnen, aber es soll ein buntes sein, sonst geht vielleicht keiner ins Kino. Und außerdem ist die Lieblingsbefindlichkeit von Teenagern nun mal bunt – MTV macht's einfach möglich. Rafal Zielinski, dessen Produktionsfirma „Neo Modern Entertainment“ heißt, geht zwar in den Fußstapfen seiner Protagonistinnen – nur droht er dabei jenem reizorientierten Unterhaltungswillen zu erliegen, den er in der Figur des Journalisten John kritisiert. Schade ist, daß Zielinski der – den Mord doch erst ermöglichenden – Abhängigkeit der Mädchen voneinander so wenig Raum läßt. Immerhin: Es kommen nicht oft halbwegs stimmige Porträts zustande, wenn ein achtunddreißigjähriger Mann einen Film über zwei Teenager dreht; die Szenen in Plattenläden und Boutiquen sind kaum besser hinzukriegen. Dem komplexen Wesen des Geschehens wird Zielinski im Ausschnitt dieser populären Psychostudie nur bedingt gerecht. Die Genese des Verbrechens läßt sich leicht zusammenfassen: Ohne gütigen Gott auf der Überholspur. Was ist nun gefährlicher: eine Überdosis an Verständnis und Moral oder ein Überschuß an wirr oszillierender Phantasie?
Siehe auch unser Gespräch mit dem Regisseur auf der folgenden Seite
„Fun“, Regie: Rafal Zielinski. Buch: James Bosley. Kamera: Jens Sturup. Mit: Alicia Witt, Renée Humphrey, William R. Moses. USA, 1994, 106 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen