: USA wollen Nato-Lufteinsätze in Bosnien
Präsident Clinton weiter gegen Entsendung von Bodentruppen, aber für Bomberflüge auch ohne UNO-Zustimmung / US-Senat stimmt über Bosnien-Embargo ab ■ Aus Washington Andrea Böhm
In die transatlantischen Beziehungen ist mit der jüngsten Eskalation im Bosnienkrieg wieder Bewegung gekommen – zumindest im verkehrstechnischen Sinne. Auf der Suche nach diplomatischen Formeln und Kompromissen eilen US-amerikanische, britische und französische Minister und Diplomaten seit Tagen zwischen Washington, Paris und London hin und her, um eine allzu offensichtliche Konfrontation beim morgigen Treffen der Kontaktgruppe in London zu vermeiden.
Auf Kollisionskurs befindet sich die Clinton-Administration derzeit vor allem mit der französischen Regierung. Letztere pocht hartnäckig auf die Entsendung von 100 US-Chinook-Hubschraubern, um 1.000 französiche Soldaten als Verstärkung für rund 300 meist britische Blauhelme in die UN-„Sicherheitszone“ Goražde zu transportieren.
Als „sicher“ gilt in bezug auf Goražde derzeit nur eines: Die Enklave mit rund 40.000 bosnischen Muslimen wird nach dem Sturm von Srebrenica und dem absehbaren Fall von Žepa das nächste Angriffsziel der bosnischen Serben sein.
Doch selbst der Einsatz von Kampfhubschraubern zum Transport nicht-amerikanischer Soldaten ist für die USA undenkbar. Nicht nur die Regierung, sondern auch der außenpolitisch zunehmend ambitionierte US-Kongreß sehen darin den ersten Schritt zu einer Teilnahme von US-Bodentruppen, da Späher stationiert werden müßten, um den Hubschraubern beim Landen zu helfen.
Für den Fall, daß die USA keine Hubschrauber zur Verfügung stellen, haben französische Regierungsvertreter der US-Regierung eine noch unangenehmere Option präsentiert: den Abzug der UNO- Truppen. Dann müßte US-Präsident Bill Clinton sein Versprechen wahr machen und 25.000 US-Soldaten zur Sicherung des Rückzuges der Blauhelme entsenden. Sähe er sich aufgrund innenpolitischen Widerstandes dazu nicht in der Lage, wäre zweifellos die Grundlage des Nato-Bündnisses in Frage gestellt.
Um dieser Wahl zwischen zwei Übeln zu entgehen, schlagen die USA nun eine militärische Alternative zur Verteidigung von Goražde vor: Massive Luftangriffe der Nato auf die Stellungen der bosnischen Serben um Goražde. Um diese durchzuführen, will Washington der UNO jedes Veto- und Mitspracherecht bei der Entscheidung über Bombenangriffe nehmen. Noch im Verlauf des gestrigen Tages wollte US-Präsident Clinton beim britischen Premierminister John Major und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac für die Strategie werben. Der britische Außenminister Malcolm Rifkind traf gestern zu Gesprächen über die Lage in Bosnien in den USA ein.
Gleichzeitig gerät die US-Regierung in der Bosnienpolitik von anderer Seite unter starken Druck. Der US-Senat wird noch diese Woche über eine Resolution des Präsidentschaftskandidaten und Mehrheitsführers der Republikaner, Bob Dole, sowie des demokratischen Senators Joseph Lieberman abstimmen, wonach die USA das Waffenembargo gegen Bosnien einseitig aufheben würden. Es gilt als wahrscheinlich, daß sich eine Zweidrittelmehrheit im Senat dafür aussprechen wird. Damit wäre gewährleistet, daß das Veto des Präsidenten überstimmt werden kann.
Allerdings mußten Dole und Lieberman auf Druck anderer Senatoren einige Einschränkungen in die Vorlage aufnehmen: Die USA wollen sich demnach unter der Voraussetzung nicht mehr an das Embargo halten, daß entweder die UN-Truppen abgezogen worden sind oder die bosnische Regierung den Abzug der Blauhelme verlangt hat. Daß letztere keinen Wert mehr auf die Präsenz der UNO legt, machte in Washington der bosnische Außenminister Mohammed Sacirbey deutlich: „Die UN-Mission in Bosnien-Herzegowina ist am Ende“, erklärte er.
Im US-Senat zögerte man allerdings, über die einseitige Aufhebung des Embargos hinaus Versprechungen an die bosnische Regierung zu machen. Die Gesetzesvorlage enthält keinerlei Hinweise darauf, wer den bosnischen Muslimen welche Waffen liefern soll. Nach Berichten der New York Times vom Mittwoch sollen Senatsmitarbeiter erklärt haben, die US-amerikanischen Lieferungen würden sich auf Funkausrüstung und Nachtsichtbrillen beschränken. Die bosnischen Muslime könnten jedoch Waffen sowjetischer Machart aus Tschechien und der Slowakei beziehen, für die sie kein besonderes Training benötigten.
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