Holzschutzmittelprozeß: Versehen oder Vorsatz

■ Bundesgerichtshof verhandelt die bisher größte Umweltstrafsache der Republik / Bundesanwaltschaft wirft Chemiemanager jetzt vorsätzliche Vergiftung vor

Karlsruhe (taz) – Vor dem 2. Strafsenat am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe stand gestern das bisher größte Umweltstrafverfahren der deutschen Geschichte zur Verhandlung. Die Karlsruher Richter hörten die Revisionsbegehren von Verteidigung und Staatsanwaltschaft nach dem Urteil im sogenannten Holzschutzmittelprozeß vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main. Vom OLG waren die beiden Geschäftsführer der Firma Desowag, Kurt Steinberg und Fritz Hagedorn, wegen „fahrlässiger Körperverletzung“ zu jeweils einem Jahr Gefängnis auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 120.000 Mark verurteilt worden. Die Bundesanwaltschaft meint jedoch, die Vergiftung der Konsumenten sei auch nach der Urteilsbegründung mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen worden, während die Verteidigung den Zusammenhang zwischen Holzschutzmitteln und Vergiftung bestreitet.

Die Frankfurter Richter hatten am 25. Mai 1993 geurteilt, die Angeklagten hätten die Herstellung und den Vertrieb der inzwischen vom Markt genommenen Holzschutzmittel Xyladecor und Xylamon zu verantworten. Diese Holzschutzmittel von Desowag seien für schwere Erkrankungen von mindestens 30 Menschen verantwortlich, in deren Häusern die Gifte eingesetzt worden waren. Nach einem Auszug aus den verseuchten Wohnungen und Häusern hatten sich die Krankheitserscheinungen bei den Betroffenen wieder „verflüchtigt“.

Bei ihrem Urteil waren die Frankfurter Richter im wesentlichen einem zum Gutachter bestellten Toxikologen gefolgt, der die unterschiedlichen Krankheitsbilder der Geschädigten in einen „Kausalzusammenhang“ mit den verwendeten Holzschutzmitteln stellte. Dieser Gutachter hatte allerdings bereits vor dem Verfahren in einem Brief an die Staatsanwaltschaft die 1990 von einer anderen Kammer am OLG erfolgte Ablehnung der Eröffung eines Hauptverfahrens kritisiert und der Staatsanwaltschaft nahegelegt, in Sachen Holzschutzmittel „nicht locker zu lassen“.

Im Strafprozeß 1992/93 hatten die Verteidiger der Desowag-Manager versucht, den Gutachter mit einem Befangenheitsantrag aus dem Verfahren zu kippen. Die Ablehnung jenes Befangenheitsantrags ist jetzt eine der Grundlagen für das Revisionsbegehren der Verteidigung. Der Gutachter habe sich mit seinem Brief an die Staatsanwaltschaft zum „Büttel der Strafverfolgungsbehörde“ gemacht, argumentierten die Verteidiger vor dem BGH.

Verteidigung und Bundesanwaltschaft (BAW) argumentierten gestern, dem Befangenheitsantrag hätte stattgeben werden müssen. Die BAW meinte zudem, das OLG habe es versäumt, mögliche andere Ursachen für die Erkrankungen der Nebenkläger hinreichend zu untersuchen und als Verursacher der Krankheitsbilder – von einer Unterminierung des Immunsystems bis zu Atemwegserkrankungen und bakterillen Infektionen – auszuschließen. Wenn die Angeklagten aber zu verurteilen seien, dann wegen „vorsätzlicher Körperverletzung“.

Weil die zweite Kammer am BGH die Kammer ist, die schon im sogenannten Lederspray-Prozeß eine Entscheidung zum Nachteil rücksichtsloser Chemiemanager herbeiführte, versuchte Verteidiger Hamm gestern einem vergleichbaren Urteil vorzubeugen. Damals beim Lederspray seien die gesundheitlichen Beeinträchtigen unmittelbar nach der Anwendung aufgetreten. Und die Symptome seien bei allen Betroffenen gleich gewesen. In Sachen Holzschutzmittel sei der direkte Nachweis der Kausalität dagegen nicht herzustellen. Bis zur Entscheidung wird es noch dauern. Bei einer Bestätigung des OLG-Urteils jedenfalls wird auf die Verurteilten eine zivile Schadenersatzprozeßwelle von riesigen Ausmaßen zurollen. Klaus Peter Klingelschmitt