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Warte, warte noch ein Weilchen

■ Die taz ruft auf: Alltagsgegenstände und Zukunftsprognosen abliefern an den "Westöstlichen Divan" / "Nachrichten in die Zukunft" werden 10 Jahre aufgehoben

Markerschütternde Schreie hallen über den Potsdamer Platz. Die Manager in den Konferenzsälen von Daimler-Benz und Sony zucken zusammen. Die vom Senat kürzlich eingebauten kugelsicheren Fenster geben ihnen ein klitzekleines Gefühl der Sicherheit. Unter ihnen bietet sich das mittlerweile fast tägliche Bild des Grauens: Jugendgangs tragen ihre Kämpfe mitten im Herzen der Stadt aus. Während die Manager mit bangen Blicken die Anarchie und das Chaos verfolgen, wird im Abgeordnetenhaus darüber abgestimmt, den Platz mit Einbruch der Dunkelheit abzusperren.

Horrorszenarium oder realistisches Zukunftsbild für den Potsdamer Platz im Juli des Jahres 2005? Wer seine Zukunftsvisionen nicht nur im Kopf mit sich herumtragen, sondern diese quasi auf den Prüfstand der Zeit stellen will, hat endlich die Gelegenheit dazu. Im „Westöstlichen Divan“, einem im März gegründeten „Berliner europäischen Salon“ im Haus der Künste in der Luisenstraße, kann man sich verewigen zu lassen. In welcher Form auch immer: vom Mitgliedsbuch jetzt noch existierender Parteien über die löchrigen Lieblingsjeans bis zur taz. Organisator Ulrich Herold freut sich über alles, was er bei seiner Aktion „Nachrichten in die Zukunft“ in Kisten packen kann.

Im Juli des Jahre 2005 wird die Sammlung dann vom Bereich Alltagskultur des Deutschen Historischen Museums ausgestellt. „Können wir noch innehalten, um so weit vorauszudenken?“ fragt Herold, dem besonders an beigefügten „Botschaften an sich selber oder an die ganze Welt“ gelegen ist. „Wenn ich den Mut habe“, so der 47jährige Verleger, „zehn Jahre im voraus was zu erwarten und zu erhoffen, ermutige ich mich selber.“

Im dritten Salon des „Westöstlichen Divans“, einer Begegnungsstätte von Kultur und Wirtschaft, ist neben Alltagskultur ebenso der Hammer eines Dachdeckers gefragt, der überzeugt ist, daß die Hämmer in Zukunft genauso aussehen wie heute.

An Erfahrungen mit visionären Projekten fehlt es Herold nicht. Beim zweiten Salon vor einigen Wochen predigten 21 Prediger die Schöpfungsgeschichte in ebenso vielen verschiedenen Sprachen.

Der „Westöstliche Divan“ finanziert sich hauptsächlich über Eintrittsgelder. Um auch die etwa 12.000 Mark Lagerkosten für die nächsten zehn Jahre zu bezahlen, wird pro „Zukunftsnachrichtler“ ein Förderbeitrag von vierzig Mark berappt. Dafür bekommt man ein Zertifikat als Sponsor und Leihgeber und kann am Samstagabend kostenfrei den Salon besuchen.

Neben Bier, Buffet und Musik gibt es dort auch Werke von Promis: die ersteigerten Gelder für das „Selbstporträt in blue“ von Nina Hagen, Comics von Udo Lindenberg und eine Christo-Zeichnung beispielsweise kommen einem Kinderhilfsprojekt in Sankt Petersburg zugute. Wer seine Hommage an die Zukunft nicht selbst zur Party bringen kann, kann sie noch bis Ende nächster Woche im Haus der Künste vorbeibringen. Botschaft und Anschrift nicht vergessen!

Westöstlicher Divan, Luisenstraße 58, an der Charité, Tel.: 2844-8241. Samstag, 19 Uhr, Fest u.a. mit der Liedermacherin Barbara Thalheim, dem „Lindenstraßen“-Wirt Kostas Papanastasiu und Judy Winter. Barbara Bollwahn

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