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Rückkehr eines Projektmachers

Ehrfurcht pflastert seinen Weg: Regisseur Stein wird schon jetzt ein großer Bahnhof gebaut. Aber braucht Berlin Peter Stein? Und braucht Peter Stein Berlin? Und kennt hier überhaupt noch jemand die Geschichte dieses Mannes?  ■ Von Petra Kohse

Peter Stein denkt über eine mögliche Rückkehr nach Berlin nach. Noch ist es nicht so weit. Erst 1997, wenn sein Vertrag als Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele ausläuft. Eventuell. Aber die Berliner Lokalpresse liegt prophylaktisch schon jetzt platt auf dem Boden. Vor Ehrfurcht. Warum?

Stein, Peter. Geboren am 1. Oktober 1937 in Berlin. Regieassistent an den Münchner Kammerspielen ab 1964. Vier Jahre später ist er dort rausgeflogen, weil er im Anschluß an seine Inszenierung von Peter Weiss' „Vietnam-Diskurs“ für den Vietcong sammeln ließ. Ein Querulant. Und ein freiwilliger Aussteiger aus der Institution. Auf der Suche nach einem Rahmen für antiautoritär organisierte Theaterarbeit kam er über Bremen, Zürich und Frankfurt/ Main 1970 nach Berlin an die Schaubühne am Halleschen Ufer.

Dort arbeitete seit acht Jahren schon eine Truppe um Jürgen Schitthelm und den Regisseur Hagen Mueller-Stahl. Sie machten sozialkritisch engagiertes Theater, bekamen vom Senat ein bißchen Geld dafür und hatten einen guten Ruf in der Stadt. Heute wird dieses Haus immer noch von Schitthelm geleitet, bekommt sehr viel Geld für ein Privattheater und hat in der ganzen Welt einen ausgezeichneten Ruf. Das ist Peter Steins Verdienst.

Nach einer kurzen Zeit des linkspolitischen Aktivistentheaters mit ML-Schulungen und Zielgruppenaufführungen in Betrieben führte Stein sein Schaubühnenkollektiv allmählich in feinsinnigere, geschichtskondensierende Gefilde. Außerdem holte er Klaus Michael Grüber ans Haus, Robert Wilson, Meredith Monk. Heute sagt Stein, Wilson-Theater sei „nichts weiter als belebte Plastiken“. Damals war es ein Versuch, ein Kontrapunkt.

Mit Stein gab es „Projekte“. Ein Antikenprojekt, ein elisabethanisches Projekt. Einfühlung nicht in die Rolle à la Stanislawski, sondern in die Entstehungszeit des Dramas. Und immer wieder die Perfektion: Gorkis „Sommergäste“, 1974. Tschechows „Drei Schwestern“, 1984. Nicht die Aktualität suchend, sondern – vielleicht – die größtmögliche Annäherung an die Vergangenheit, von heute aus gesehen.

Und Stein hatte Erfolg. Die Schaubühne bekam mehr und mehr Geld, 1981 ein neues Haus am Kurfürstendamm und so weiter. Kritik wurde laut. Ästhetizistisch, perfektionistisch, museal schien einst treuen Verehrern des Hauses der Weg des Herrn Stein, auf dem das neue Theater ein Olymp wurde, in dem als Halbgötter Schauspieler wie Bruno Ganz und Jutta Lampe wohnten. Aber Stein hatte weiter Erfolg. 1984/85 verließ er die Schaubühne, einfach so, ohne Streit, um sich auch anderswo umzutun. Er hinterließ der Inselstadt Berlin ein Ensemble, um das sie viel beneidet wurde. Das verpflichtet.

Stein inszenierte weiter an der Schaubühne, Tschechow und anderes. 1992 wollte er dort endlich einen Traum verwirklichen, Goethes „Faust“, beide Teile. Damals arbeitete er schon in Salzburg, und die Stein-Verehrerin Andrea Breth sollte künstlerische Leiterin der Schaubühne werden. Der Sponsor des Projekts sprang ab; und wenn das Theater den „Faust“ auf eigene Verantwortung gemacht hätte, hätte es zwei Jahre nichts anderes machen können. Was gäbe es da zu leiten? Breth bot an, erst zwei Jahre später zu beginnen, Stein verstand das als Erpressung, die Entscheidung des Ensembles für Breth als „Kündigung“. Der Sensible. Er blieb in Salzburg.

Und jetzt denkt er daran, zurückzukommen? Der Radikale, der im März in einem Interview mit „Le Monde“ gesagt hat, die kulturelle Infrastruktur Berlins sei der Nachwendezeit kaum angemessen, man solle alle Theater schließen – aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern um bei Null wieder anzufangen. War Salzburg ein Triumph? Die Erfüllung? Fortgesetzt gesehen doch wohl eher nicht. Shakespeares Römerstücke gab es, dazwischen letztes Jahr in Moskau eine Neuauflage seiner „Orestie“ von 1980, jetzt erneut seinen „Kirschgarten“ in Salzburg wie schon 1989 in Berlin. Stein revisited by Stein.

Braucht Berlin Peter Stein? Braucht Peter Stein Berlin? Man würde ihn das gerne fragen, aber er spricht mit deutschen Journalisten mittlerweile nur noch per Fax, und vielleicht erledigen das die Assistenten ja im Bausteinprinzip. Die Schaubühne ist kein Thema mehr. Dieter Sturm, Steins langjähriger Dramaturg, ist ab nächster Spielzeit am Deutschen Theater. Ein Platz als künstlerischer Berater ist dort allemal vakant, selbst für einstige Institutionenverächter – Intendant Thomas Langhoff hat ein großes Herz. Aber der „Faust“ bräuchte Platz, eine Halle müßte gefunden werden. Und Geld.

„Faust II“ fast ungestrichen, beide Teile, insgesamt 12 bis 16 Stunden. Eine Zumutung. Ein Wagnis. Aber wer bezahlt's? Ab 1997 soll es einen von Bund und Land gleichermaßen zu bestückenden Kulturfonds geben, für Sonderprojekte der Berliner Institutionen mit nationaler Ausstrahlung.

Gedacht ist das durchaus als Entlastung der bis zum Anschlag zu Einsparungenen verdonnerten Theater, Opern, Orchester etc. Der Berliner Rat für die Künste (zu dessen Sprechern übrigens Schitthelm zählt) hatte einen solchen Fonds dringend gefordert. Was würden Steins Exkollegen sagen, wenn es dazu käme, daß der Kulturfonds im ersten Jahr nur auf den Stein-Faust abonniert wäre?

Die Bundesrepublik ist ein reiches Land. Eigentlich. Wenn Herr Stein tatsächlich käme und sagte: „Ich mache meinen Faust bei euch“, dann sollte man erwidern können: „Ja, bitte, dankeschön, hier haben Sie eine Halle und hier einen Etat und hier noch einen, damit Sie zuvor auch die Lebensbedingungen zu Zeiten Goethes studieren können, und dann werden Sie für Ihre Verdienste auch gleich Ehrenbürger der Hauptstadt.“ Aber so laufen die Dinge leider nicht. Bonn geizt notorisch, und Berlin muß knapsen. Es wird Geschiebe, Gezerre und böses Blut geben, und was ein heutiger Kultursenator in Aussicht stellt, mag ein nächster nach der Wahl im Oktober nicht halten können.

Doch wenn in Peter Stein nun doch wieder eine Leidenschaft für Berlin aufkeimt – und für sein Projekt –, dann erinnert er sich vielleicht auch daran, was er 1968 sagte: „Es gibt die Möglichkeit, Einzelaktionen zu machen, innerhalb des kapitalistischen Systems wertneutrales, organisations- und bürokratieneutrales Geld zu suchen, möglichst viel, mit dem man dann ein Theater machen kann, an dem sich Leute, die den Drang haben, aus den Institutionen rauszugehen, zusammenfinden.“ Da könnte Peter Stein den Kollegen zeigen, wie man bei Null anfängt. Und Berlin läge ihm zu Füßen. Willkommen.

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