■ Normalzeit
: The Art of the Deal

Tina aus dem Prenzlauer Berg, die immer noch Schulden bei einer nie in Anspruch genommenen scientologischen Mieterberatung hat, wurde neulich zur Abwechslung mal von einem Geldgeber umworben: Für 300 Mark Provision im voraus und 1,3 Prozent Jahreszins wollte er ihr eine Kreditkarte beschaffen, mit der sie, wann immer sie wollte, Geld abheben könne.

Ähnliche Versprechungen machte ein anderer Kreditgeber zur selben Zeit ihrer Freundin Veronika: Hier ging es um einen 5.000-Mark-Kredit, den sie bekommen könne – und zwar ihr Leben lang, wann immer sie 5.000 Mark benötige. Die beiden Frauen rochen den Braten, verabredeten sich aber erneut mit ihren Wohltätern, auf deren Versprechungen sie zum Schein eingehen wollten, anschließend sollte ich was darüber schreiben. Da Tina desungeachtet weiterhin ihre Schulden drückten, kündigte sie als mäßig verdienende selbständige Thekenkraft im „Frutti“, Schönhauser Allee und fing im renommierten Sado-Maso- „Studio Weiß“ in der Gotenstraße (auf der Roten Insel) an – als freiberufliche Krankenschwester.

Dort besuchte ich sie neulich. Die Chefin führte mich in den Behandlungsraum, der vollgehängt war mit Peitschen, Lederriemen und Ketten. Unter der Liege befand sich ein Drahtkäfig, in einer Ecke stand ein gynäkologischer Stuhl. Mich faszinierte insbesondere eine Fliegenklatsche aus Plastik: Wer ließ sich damit wie quälen? Die Chefin bot mir Kaffee an und sagte: „Sie sitzen auf dem Klostuhl!“ Ich sprang hoch und nahm auf einem roten Stuhl Platz, auf dessen Sitzfläche mit goldenen Nägeln der Name des Etablissements eingeschlagen war.

Überhaupt verriet die ganze Einrichtung einen leicht verkitschten Hang zu Berliner Hinterhof-Handwerk und Hobbybastelei. Unter einem Sado-Maso- Studio hatte ich mir eher eine Art postmodernes Topmanagerbüro, sagen wir: im ueckerbestückten Pietzsch-Palais Unter den Linden etwa, vorgestellt. Hier war eine Wand liebevoll mit einer Backsteintapete beklebt, von einem schweren durchs Zimmer gezogenen roten Balken hingen allerhand Seile und schwarze Lederringe, auf einem Tisch mit Rollen standen altmodische Flaschen mit Essenzen, Geräte für Einläufe und Spritzbestecke.

Die gelernte Dispatcherin Tina sah in ihrem eng-schwarzen zugeknöpften Dreß zwar schöner aus als halbnackt hinter der Ost- Frutti-Theke, aber sie wirkte in Schöneberg nicht mehr so souverän wie dort. Mehrmals wiederholte sie: „Ich muß mich erst dran gewöhnen, wie man sich verkauft!“

Eigentlich sollte sie mir nur erzählen, wie es mit den Superkrediten weitergegangen war. Sie meinte aber doch vorbeugend bemerken zu müssen: „Laß uns am besten nichts zusammen machen, wir beide hier – da wird nur eine Lachnummer draus.“ Ich stimmte ihr zu: „Dieses sadistische oder masochistische Zeugs liegt mir sowieso nicht!“ Sie ergänzte: „Auch eine normale Nummer müssen wir hier doch nicht abziehen, das laß lieber sein, es kostet 200 Mark für 30 Minuten, Minimum.“ – „Ich wollte nur über deine und Veronikas Kreditgeschäfte reden, was ist denn da nun draus geworden?“ „Nichts, das hat sich erledigt. Ich kann dir das ja mal in Ruhe erzählen, aber nicht jetzt. Bis zwei Uhr muß ich hier arbeiten, danach habe ich Zeit, ruf mich doch einfach spontan an, und wir verabreden uns.“ „So machen wir es!“

Als ich wieder auf die Straße trat, sah ich erst, wo ich war: Gegenüber gab es ein „Goten-Stübchen“, nebendran ein „Goten- Eck“ und dahinter gleich ein „Cherusker-Eck“, alle voll mit Stammgästen, die genau da reinpaßten. In einer bestellte ich erst mal einen Weinbrand. Im Fernseher über der Musikbox lief ein Interview mit Alexander Kluge. „Mich würde ein Film interessieren, der vom Ausbruch der Gewerbefreiheit in den neuen Bundesländern handelt“, sagte Kluge – keiner hörte hin. Ich bezahlte und trollte mich nach Mitte, wieder um eine Studio-Erfahrung reicher. Helmut Höge

wird fortgesetzt