: Berlins nackte Tatsachen
■ „Baden ohne“ ist auch in der Hauptstadt nicht aus der Mode gekommen / Wie man es Wo am besten tut – darüber scheiden sich in Ost und West noch immer die Geister
Die Hüllen sind gefallen. Christos schon vor einiger Zeit und nun auch die von Michaela (28 Jahre alt, Grundschullehrerin). Genüßlich dreht die junge Frau ihren nackten Hintern in die Sonne. „Früher“, sagt sie und meint „vor 1989“, sei die Liegewiese hinterm Friedrichshainer Sport- und Erholungs-Zentrum noch ein echter Geheimtip für FKK-Fans gewesen. Jetzt würden zunehmend „irgendwelche Spanner“ durch die öffentliche Parkanlage streifen. „Belästigt wurde man hier vor der Wende nicht.“ Als sich kurz darauf ein Trupp behoster Jugendlicher fast auf ihrem Handtuch niederläßt, packt Michaela ein. Sie ist sauer auf die „völlig verklemmten Kids“, die mit Sexmagazinen und Pornofilmen aufwachsen, sich zum Baden oder Sonnen jedoch hinter „irgendwelchen Designer-Fummeln“ verstecken.
„Wenn wir früher mit der Clique an den Parsteiner See fuhren, wurden ohne Scheu alle Klamotten fallengelassen und hinein ging es ins kühle Naß.“ Abgesteckter FKK-Strände bedurfte es nicht. Und selbst dort, wo es sich um speziell ausgewiesenes Nacktbade- Terrain handelte, gab es kaum die sonst üblichen Verhaltensmaßregeln. „Es wird nicht erwartet, daß die Besucher des FKK-Bades auf der Grenze umgehend ihre Kleidung ablegen oder sich etwa schon kurz hinter dem Eingang nackt ausziehen“, hieß es in einem 1982 erschienenen FKK-Führer zu Ostberlins bekanntestem Nudistendomizil, dem Weststrand des Müggelsees. Es habe sich, so das Büchlein weiter, überhaupt erwiesen, „daß sich reglementfrei angemessene Verhaltensweisen ausbilden, die den gesellschaftlichen und persönlichen Ansprüchen der Gäste gerecht werden.“
Daß manche die FKK-Vorliebe der Ostdeutschen heute als „Opposition durch Nacktheit“ beschreiben, hält die Lehrerin für „reichlichen Blödsinn“. In den fünfziger Jahren ging es in Ost wie West wohl gleichermaßen verklemmt zu, sagt sie und räumt ein, daß lediglich die FKK-Bewegung in den sechziger Jahren durchaus revolutionäre Züge trug. Für sie sei „Baden ohne was“ von Kindheit an bereits „die normalste Sache der Welt“ gewesen. In „Die nackte Republik“, einem nach der Wende erschienenen Sammelband der Zeitschrift Magazin mit Aktfotografien von Amateuren aus 40 Jahren Alltag im Osten, schrieb der Redakteur Ulrich Backmann: „Aus einer Sekte der hüllenlosen Sonnenanbeter war im real existierenden Sozialismus eine Massenbewegung geworden. Einträchtig und unverklemmt planschten Bekleidete und Nackte durcheinander, was pikierte Besucher aus dem Westen nach der Vereinigung ziemlich irritiert zur Kenntnis nahmen.“
Die Irritationen scheinen beiderseitig bis heute fortzubestehen. So seien „flugs und im vorauseilenden Gehorsam in einigen postsozialistischen Erholungsorten neue Badeordnungen geschrieben und die FKK-Apartheid wiederhergestellt worden“, meinte Redakteur Backmann.
Die 28jährige Grundschullehrerin lehnt es erst einmal ab, zum Nacktbaden in den Westteil der Stadt zu fahren. FKK sei dort zu sehr von der Mode geprägt, zu wenig vom Lebensgefühl.
Christiane Prawitt vom Verein für Körperkultur Berlin-Südwest (Tel.: 712 20 10) kann darüber nur schmunzeln. Etwa 1.700 Mitglieder zählt die auf Traditionen aus dem Jahre 1922 zurückgehende und in der Nazizeit verbotene Gemeinschaft am Ostpreußendamm 85 b heute. „Familien, Singles, ältere Leute – wir sind für alle offen“, sagt sie. Die wenigsten kämen vom Narzißmus getrieben. „Wer dem Verein beitritt, tut dies, weil er vielleicht nackt und ungezwungen schwimmen gehen will, ohne von Fremden beobachtet zu werden.“
Das 50.000 Quadratmeter große Gelände mit Schwimmbad und Spielplatz, das der Verein vom Land Berlin zur Pacht besitzt, lebt von der Akzeptanz der Natürlichkeit und des Naturschutzes. Wer sich hier sonnt, aalt sich nicht auf gepflegtem englischen Rasen, sondern auf einer bunten Sommerwiese. Einige Mitglieder, die FKK regelrecht als Ideologie betreiben, gäbe es natürlich auch. „Bis hin zur Ernährung wird dort nach strengen Regeln gelebt.“ Doch solcherart Nudisten, so Christiane Prawitt, seien eher die Ausnahme, zumal Nacktsein hier im wesentlichen Schwimmen bedeute und hinter blickdichtem Zaun kultiviert wird. Kathi Seefeld
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen