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Für Hippies ist kein Platz mehr

An der portugiesischen Algarve wurden zivilisationsmüde Aussteiger bislang geduldet. Doch jetzt greift die Polizei hart durch und verscheucht die wild campierenden Langzeiturlauber.  ■ Von Heike Mrozinski

Klaus heißt in Wirklichkeit Martin und ist auf der Flucht vor der „Sinnleere und Unerfülltheit“ seines bisherigen Daseins und vor Herrn Danone vom Arbeitsamt. Das erste Mal kam er mit einem Zelt, trotzte Wind, Regen und blieb mehrere Monate. Ich traf ihn auf „seinem Hügel“ am Meer, im Kreise von „new-age-travellers“, „mums and dads“, „gypsies“, „crusties“ und wie sie alle heißen. Mit ihnen saß er allabendlich am Lagerfeuer, spielte Gitarre und sang seine eigenen Lieder, soff und rauchte sich die Vergangenheit aus dem Leib, um morgens betäubt in sein Einmannzelt zu fallen.

Sieben Jahre hatte der Sozialpädagoge ein „ganz normales“ Leben gelebt, mit Arbeit, Freundin und einem trauten Heim, in dem das Glück nach und nach verlorenging. Zuletzt arbeitete er in einer neurologischen Fachklinik. Doch während er anderen half, sich im Leben wieder zurechtzufinden, kam er selber immer weniger klar. Sehnsucht nach was auch immer gärte in ihm, der Wunsch nach Veränderung, der sich zu einem lebensnotwendigen Bedürfnis auswuchs. Als ihn „ein intensives Unwohlsein in vielerlei Hinsicht“ ansprang und die privaten Dinge sich überschlugen, gab es schließlich nur noch eins: weg, nichts wie weg. Er fuhr nach Portugal und blieb sieben Monate. Dann war das Ersparte aufgebraucht.

Ende der siebziger Jahre wurde der schmale Küstenstreifen der Algarve noch als Geheimtip gehandelt. Sonne, Sandstrände, einsame Badebuchten, wenige Hotels, spottbillige Preise und freundliche Gastgeber lockten vor allem zivilisationsmüde Besucher aus dem kühlen Norden Europas an. Doch Investoren aus der Tourismusindustrie folgten, und es sollte keine zehn Jahre dauern, bis die weißgekalkten Fischerdörfer unter Beton verschwanden und die „tabernas“ englischen Pubs, deutschen Bierkneipen und Pizzerien Platz machen mußten.

In der ehemals rückständigen Provinz boomt der Massentourismus, mittlerweile Portugals wichtigste Einnahmequelle. Für Individualreisende ist kein Platz mehr, und die zahlreichen Camper mit den Wohnmobilen Marke Eigenbau, die so gar nicht dem Image des zahlungsfreudigen, nur zwei, maximal drei Wochen bleibenden Urlaubers entsprechen wollen, werden von Einheimischen und Touristen gleichermaßen mißtrauisch beäugt. Fern der Touristenzentren und Campingplätze stehen sie zusammen in wilden Camps in Gegenden, in die sich der normale Urlauber kaum je verirrt – je versteckter, desto besser.

Dirk und Susanne haben sich mit Tochter Laura und Hündin Zora zurückgezogen in eine entlegene Bucht, zu der eine kilometerlange holprige Piste, ehemals ein Flußbett, führt. In den Berghängen ein paar verlassene, halb verfallene Gehöfte, die heute bestenfalls noch als Viehstall dienen – eine verlassene Gegend. Dirk hätte sicherlich viel zu erzählen, wenn er nur wollte. Aber er ist eher wortkarg, ein ruhiger, stiller Typ, der nicht viel Aufhebens von den Dingen macht. Und doch hat er eine Leidenschaft: das Reisen. Irgendwann erfahre ich, daß er Reiseleiter bei einem Alternativ-Reisen- Veranstalter ist – Camping mit großem Zelt für diejenigen, denen das Gemeinschaftserlebnis wichtiger ist als der Komfort. Auch außerhalb der Reisesaison zieht es ihn in den Süden. Auf Komfort und Konsum kann er gut verzichten, lieber repariert, bastelt und flickt er, was das Zeug hält. Seinen Hanomag liebt er. Portugal und der Hanomag, das gehört für ihn zusammen. „Mein Zuhause immer bei mir zu haben, egal, wo ich gerade bin“, findet er toll. Als vor einigen Jahren in seiner heimischen Wohngemeinschaft die Streitigkeiten heftiger wurden, zog er kurz entschlossen um in den Hanomag, den er dann nach seinen Vorstellungen umbaute. „Ich wollte endlich meine eigene Küche haben“, grinst Dirk, während er am Herd steht und Pfannkuchen backt. Elf Quadratmeter Wohnfläche haben Dirk und Susanne, genug Platz für Vorratskisten aus Deutschland und sogar für eine alte Tretnähmaschine. Vor Beginn der nächsten Reisesaison ist ihre gemeinsame Reisezeit um. Dirk zeigt anderen Urlaubern Südeuropa – seine Geheimtips jedoch behält er für sich –, und Susanne hofft wieder als Tanztherapeutin zu arbeiten. Bis Laura zur Schule geht, wollen sie aber weiterhin im Süden überwintern, solange der Hanomag das mitmacht.

Zurück zum Hügel. Ein großer Kasten-Lkw kriecht im Schrittempo die Piste hinauf. Am Steuer eine Frau. Oben angekommen, bleibt der Wagen im Sand stecken, und damit ist klar: Sie sind zum ersten Mal hier und mit der Tücke des Platzes noch nicht vertraut. Fahrerin und Beifahrer wechseln die Plätze, und bald darauf gräbt sich das Fahrzeug wieder frei. Die anderen grinsen, und ich warte auf einen blöden Spruch über Frauen am Steuer. Zum Glück bleibt er aus. Später erfahre ich, daß dies einer der seltenen Momente war, wo George hinterm Steuer zu sehen ist. Er hat keinen Führerschein.

Abendessen bei Uschi, George und Sohn Majid. George öffnet die Tür, und ein schwerer orientalischer Duft, vermischt mit Salbei und Kreuzkümmel, weht uns entgegen. Drinnen staune ich über den Platz, den der Koffer bietet. Sogar eine richtige Küchenzeile und ein riesiges Hochbett haben sie eingebaut. Zwei große Staukästen, verdeckt mit marokkanischen Teppichen, dienen als Sitzbänke. Zum Essen werden weitere Teppiche auf dem Boden ausgebreitet, fertig ist der Tisch. Im Schneidersitz hocken wir uns hin. Es gibt deftige marokkanische Küche.

Mit Trommeln und handgefertigten Lederschuhen beladen bis unters Dach, kommen die drei geradewegs aus Marokko. Die Sachen sind für einen Berliner Lederkunstbetrieb bestimmt. Uschi fährt schon seit zehn Jahren nach Marokko. Majid ist dort geboren. Doch bei George hat sie erst mal Überzeugungsarbeit leisten müssen. Dort würde sie ihn garantiert nie hinkriegen, hatte er ihr damals prophezeit, weil er doch eigentlich den Norden vorziehe. Eine Anekdote, über die beide lachen. Heute fahren sie mindestens einmal im Jahr runter und verbinden so geschäftliches und privates Reisen auf angenehmste Weise.

Klaus ist ein halbes Jahr später wieder da, diesmal mit einem ausgebauten VW-Bus. Auch ich bin wieder da, und wieder treffen wir uns auf „seinem Hügel“, den er eifersüchtig bewacht wie eh und je. Er wolle ganz hierbleiben, erzählt er mir, und als Deutschlehrer, Kellner oder Bauarbeiter arbeiten. Inzwischen hat er sich richtig akklimatisiert, spricht sogar schon recht gut Portugiesisch. Ein paar junge Portugiesen hat er kennengelernt und auch einen portugiesischen Freund gefunden. Wie immer schimpft er über diese „Ingleses“, besonders über das Paar, das regelmäßig eine Beziehungsschlacht zum besten gibt, wenn es sturzbetrunken ist. Diesmal hat Klaus nicht nur seine Gitarre mitgebracht, sondern auch all die Bücher, die ihm am Herzen liegen.

Heute sind die wild campierenden Langzeiturlauber auch der Polizei ein Dorn im Auge. Gezielt fährt sie die bekannten Standplätze ab, löst die Camps auf und greift dabei hart durch. Ihr Unmut richtet sich längst nicht mehr nur gegen die Hippies. Auch die Wohnmobilisten, die sich bevorzugt auf den öffentlichen Parkplätzen am Meer niederlassen, werden aufgefordert, die Campingplätze aufzusuchen.

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