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Lebenslang für Beelzebub Andreotti?

Italiens siebenmaliger Ministerpräsident Giulio Andreotti ist wegen Anstiftung zum Mord angeklagt / Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher soll im Prozeß für ihn aussagen  ■ Aus Rom Werner Raith

Es wird eng für Giulio Andreotti. Schon im Frühjahr hatte das Schwurgericht Palermo die Anklage wegen mafioser Bandenbildung und Amtsmißbrauchs angenommen, und nun hat auch die Staatsanwaltschaft Perugia gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Anklage erhoben – wegen des Verdachts der Anstiftung zur Ermordung des Journalisten Mino Pecorelli. Nach Ansicht der Ermittler haben Andreotti und einer seiner engsten Freunde, der damalige Untersuchungsrichter Claudio Vitalone, den Auftrag zu dem Mord an mafiose Killer gegeben.

Pecorelli leitete damals eine kleine, aber höchst gefürchtete Nachrichtenagentur namens “O. P.“, was offiziell Osservatore politico („Politischer Beobachter“) bedeutete, doch bei vielen Politikern als ora paga („Zahlstunde“) gedeutet wurde. Der Journalist hatte sich, so jedenfalls die posthumen Ermittlungen, gelegentlich von den Betroffenen dafür bezahlen lassen, rufschädigende Artikel nicht zu drucken.

Genau das war möglicherweise auch seine Absicht, als er Anfang März 1989 eine Ausgabe seines Blättchens mit dem Titel „Alle Schecks des Ministerpräsidenten“ ankündigte – eine Enthüllungsgeschichte über Schmiergeldzahlungen an Regierungschef Andreotti. Die Ausgabe wurde im letzte Augenblick gestoppt – schon wenige Tage danach war Pecorelli tot, getroffen von zwei präzisen Schüssen aus einer Pistole, Kaliber 7.65.

Über den Mord hatte es tausenderlei Spekulationen gegeben – Pecorelli gehörte der illegalen Geheimloge „Propaganda 2“ an, hatte aber auch über diese mit Enthüllungsgeschichten begonnen, die den Logenchef Licio Gelli als früheren militanten Nazi und Erpresser darstellten. Rechtsextremisten gerieten ebenso in Verdacht wie ihre linken Kollegen, doch beweiskräftige Ketten ließen sich nicht zusammenbauen.

Erst 1993 kam wieder Bewegung in die Sache, als Mafiaboß Tommaso Buscetta auspackte: Pecorelli sei von zwei Mafiakillern umgebracht worden, und zwar um Andreotti und Vitalone einen Gefallen zu tun, die seinerzeit ihrerseits über ihre Kanäle Prozesse gegen hohe Mafiabosse zum Versanden gebracht hatten.

Laut Buscetta war es Andreotti dabei nicht nur um die Sache mit den Schmiergeldern gegangen, sondern auch darum, daß Pecorelli offenbar über ein hochbrisantes Dokument verfügte: das vollständige Dossier des Falles Aldo Moro. Der fünfmalige Ministerpräsident und Parteichef der italienischen Christdemokraten war 1978 von einem Kommando der Roten Brigaden entführt und nach 55 Tagen ermordet worden. In dieser Zeit im „Volksgefängnis“ hatte er ein langes Memorandum verfaßt, das Andreotti und andere Politiker schwer bloßstellte. Teile des Memorandums wurden nach der Ermordung Moros in einer Mailänder Wohnung aufgefunden – doch die brisantesten Teile fehlten; sie kamen erst im Herbst bei einer Nachdurchsuchung der Wohnung zutage. Experten sind sich einig, daß bei Bekanntwerden dieser Passagen die Regierung in schwere Bedrängnis geraten wäre.

Andreotti sieht die Anklage natürlich ganz und gar nicht ein – „Dummzeug“ sei alles, eine Fälschung, und er wisse auch, woher: „von jenseits des Ozeans“. Den Amis habe insbesondere in den letzten zehn Jahren, in denen Andreotti mal Außenminister, mal Regierungschef war, der „unabhängige Kurs Italiens, der auch auf die EG durchgeschlagen hat, nicht gepaßt“ – deshalb wolle man ihn nun ans Messer liefern.

Für derlei Thesen will er auch hochrangige Zeugen aufbieten – UNO-Vertreter ebenso wie PLO- Chef Arafat – und auch Deutschlands ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Der soll schon in Palermo und auch danach in Perugia davon künden, daß „Andreotti stets ein Eckpfeiler der europäischen Politik war, von dem man sich eine Verwicklung in derlei Geschichten überhaupt nicht vorstellen kann“, sagt Andreotti- Verteidiger Taormina.

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