: Am Leben gehalten, um getötet zu werden
■ Schreibmaschinen als Sicherheitsrisiko, TV als Nabelschnur zur Welt: Wir dokumentieren einen Text über das Leben im Todestrakt aus Abu-Jamals Buch „Live from the Death Row“
Kontrolle
Diesen Text schreibe ich im größten Todestrakt von Pennsylvania, im „State Correctional Institute“ von Huntington im ländlichen Süden des Staates. Ich bin nur eine von 123 Personen hier, die auf den Tod warten. In diesem öden Land des Todes lebe ich seit dem Sommer 1983. Einige Jahre stand ich unter „Disziplinarverwahrung“ („DC“ – disciplinary custody). Dieser Status wurde mir auferlegt, weil ich es wagte, meinen Glauben und die Lehren von John Africa nicht zu verleugnen, und vor allem, weil ich mich weigerte, mein Haar zu schneiden1. Das bedeutete, daß mir Telefonate mit meiner Familie verboten wurden, zuweilen wurde ich für meinen Glauben in Ketten gelegt.
Das Leben hier schwankt zwischen Banalität und Bizarrheit.
Anders, als andere Gefangene sitzen die Insassen des Todestrakts hier nicht die Zeit ab. Am Ende des Tunnels leuchtet keine Freiheit. Das Ende des Tunnels bringt Vernichtung. Viele haben keine Hoffnung mehr.
Wie in jedem quasi-militärischen Verband wird die Wirklichkeit im Trakt von Regeln und Verordnungen beherrscht. Wie bei jedem Zwang, der Menschen auferlegt wird, gibt es Widerstand, aber viel weniger, als zu erwarten wäre. In der Regel verhalten sich die Todeskandidaten korrekter und weniger aggressiv als die anderen Gefangenen. Wir haben allerdings auch wenig Gelegenheit dazu, denn viele Todestrakte funktionieren nach dem „22 plus 2“-System: 22 Stunden sind wir in die Zelle eingeschlossen, dann folgen zwei Stunden „Freizeit“ außerhalb der Zelle. Die findet in einem Käfig statt, der mit Doppelreihen Stacheldraht abgesichert ist – dem „Hundezwinger“.
Alle Todestrakte haben nur ein Ziel: „Die Lagerung von Menschen“ in einer „strengen Welt. Die Verurteilten werden darin als Körper betrachtet, die nur am Leben gehalten werden, um getötet zu werden.“2 Die Regeln im Todestrakt von Pennsylvania gehören zu den strengsten in Amerika und können sich in Strenge und Dauer des Zelleneinschlusses nur mit dem berüchtigten Todestrakt von San Quentin messen. Einige Staaten erlauben vier, sechs oder sogar acht Stunden außerhalb der Zelle, Arbeiten oder sogar Zugang zu Ausbildungsprogrammen. Aber nicht Pennsylvania.
Hier gibt es wenig oder kein psychologisches Leben. Hier können viele dem allgegenwärtigen Gespenst des Todes nur durch die gewöhnlichsten Ablenkungen entfliehen – Fernsehen, Radio oder Sport. Fernsehen ist erlaubt, Schreibmaschinen sind verboten: Man darf seine Energien beim Entertainment verschwenden, aber ein wesentliches Instrument, um sich mit juristischen Mitteln zu befreien, wird als Sicherheitsrisiko betrachtet.
Einmal bat ein Insasse, der mehr an seinem Leben als an Unterhaltung interessiert war, mit starken Argumenten um eine Schreibmaschine, die nicht aus Metall und batteriebetrieben war. Daß die Erlaubnis aus Sicherheitsgründen verweigert wurde, war vorauszusehen. „Und was halten Sie von einer dreizehn Zoll langen Glasscherbe“, fragte der Gefangene, „ist das kein Sicherheitsrisiko?“
„Wo wollen Sie die denn herkriegen“, fragte der Gefängnisbeamte.
„Aus meinem Fernseher!“
Antrag auf Schreibmaschine abgelehnt.
* * *
Fernsehen ist mehr als nur eine wirksame Ablenkung von einem schrecklichen Schicksal. Es ist eine psychologische Keule, die benutzt wird, um alle zu bedrohen, die gegen die entmenschlichende Isolation in der Todeszelle aufbegehren. Wer sich eines Regelbruchs schuldig macht, muß auf seinen Fernseher verzichten.
Nach Jahren von Besuchen hinter Glasscheiben, von viel zu seltenen Telefongesprächen und ständig abnehmender Kommunikation mit der Familie und anderen benutzen viele Todeskandidaten den Fernseher als Nabelschnur, als eine psychische Verbindung mit der Welt, die sie verloren haben. Sie sind abhängig vom Fernseher, so wie einsame Leute draußen, die den Fernseher als Illusion von sozialem Kontakt brauchen, und sie fürchten, ihn zu verlieren. Der Verlust des Fernsehers ist für die meisten ein zu hoher Preis für Widerstand.
Abu-Jamal: „Live from the Death Row“. Addison Wesley, 1995.
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