Täglich sucht die Polizei nach Öcalan

■ Seit Donnerstag hungern 184 kurdische, türkische und deutsche Frauen und Männer auf dem Breitscheidplatz / Regelmäßig beschlagnahmt die Polizei Publikationen, in denen der Generalsekretär der PKK auft

Kurdische Musik hallt über den Breitscheidplatz. Einige Männer und Frauen mit Umhängen, auf denen Hungerstreik steht, tanzen und schwenken grün-gelb-rote Stoffstücke. Andere sitzen in der Sonne und rauchen oder dösen auf Matratzen in den Zelten vor sich hin. In einem Zelt wird rund um die Uhr Hagebutten-, Früchte- und Kamillentee gekocht. Seit Donnerstag hungern 184 kurdische, türkische und deutsche Frauen und Männer und solidarisieren sich mit den Zehntausenden Kriegsgefangenen in Gefängnissen in der Türkei und Kurdistan, die bereits seit dem 14. Juli keine Nahrung zu sich nehmen. Ein großes rotes Transparent zeigt die Zahl der Tage bei Tee und Wasser an.

Die beiden deutschen Frauen Leonore und Susanne verteilen Flugblätter und sammeln Unterschriften für eine Petition an den amerikanischen Präsidenten. Mit ihrem Hungern wollen sie die Forderung der Kurden nach Selbstbestimmung unterstützen. Die ersten beiden Tage haben die 33 und 37 Jahre alten Frauen leichte Kopfschmerzen gehabt. Doch jetzt geht es ihnen gut. Hungergefühl haben sie nicht. Nur die hygienischen Bedingungen lassen zu wünschen übrig. Seit Samstag ist das Damen-WC der nahe gelegenen öffentlichen Toilette, wo sie sich waschen und Zähne putzen konnten, wegen Verstopfung geschlossen. Jetzt gibt es nur die zwei Miettoiletten hinter den Zelten. Noch weitere sechs Tage will sich Leonore von Tee und Wasser ernähren. Länger kann sich ihr Mann nicht um das Kind kümmern. Susanne, die seit fünfzehn Jahren mit einem Kurden verheiratet ist und schon mehrere Male in Kurdistan war, hat derzeit Urlaub. Ein junger Mann aus der Osttürkei setzt sogar seinen neuen Job aufs Spiel. „Doch wenn ich an unser Land denke“, sagt der 21jährige Hasip, „ist das nicht zuviel verlangt.“ Unter den Hungerstreikenden sind auch einige Türken. „Die türkische Regierung handelt wie Barbaren“, sagt Ismail, „nicht die Kurden.“ Der Türke beklagt sich über viele Landsleute, die nichts von der Geschichte des „kurdischen Brudervolkes“ wüßten.

„Ich habe nichts damit zu schaffen“, sagt ein deutscher Kraftfahrer, der auf dem Breitscheidplatz die Sonntagszeitung liest. „Aber wenn die meinen, die müssen das machen, ist das okay“, sagt er. Ein Ehepaar aus Dresden, das mißmutig vor den Zelten steht, hat überhaupt kein Verständnis für „diese interne Sachen“. Deutschland habe schon genug eigene Probleme, so die Frau. „Die sollen das bei sich zu Hause machen“, schimpft sie. Für einen vorbeischlendernden Architekten aus Braunschweig dagegen ist der Hungerstreik die „einzige Möglichkeit“, um auf die Situation der Kurden aufmerksam zu machen.

Emin, der 37jährige Kurde, der an einem der Informationstische mit Büchern und Kassetten steht, erzählt, daß jeden Tag Polizisten und Beamte in Zivil kommen. Regelmäßig würden sie Publikationen mit Interviews und Fotos von Abdullah Öcalan, dem Generalsekretär der PKK, mitnehmen. Auch die Ausgabe der kurdischen Zeitung „Serxwebun“ (Freiheit) mit der kurdischen Landkarte auf der Titelseite hätten die Beamten beschlagnahmt. Er selbst sei vor zwei Tagen sechs Stunden lang vernommen worden. In der Zwischenzeit sei seine Wohnung von der Polizei auf den Kopf gestellt worden.

Ein anderer Kurde am Informationsstand ist überrascht über die vorwiegend „positiven Reaktionen“. „Ich hatte gedacht, daß sich einige ärgern würden, weil wir die Ruhe stören.“ Ein Kellner aus dem Eiscafé „La Fontana“ fühlt sich in der Tat in seiner Ruhe gestört. „Den ganzen Tag diese verrückte Musik“, beschwert er sich. „Man kann nicht normal reden“, redet er sich in Rage, „man muß schreien.“ Die Kunden würden sich beschweren. Er als Mazedonier habe Verständnis für die Kurden. „Wir haben ja genau die gleichen Probleme“, sagt er. Aber „den ganzen Tag Musik und tanzen“, das ginge nicht. „Wir sind hier in Mitteleuropa und nicht im Wald“, schimpft er. Barbara Bollwahn