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Bosnien-Krieg zerstört grünen Friedenskonsens

■ Drei Berliner Bündnisgrüne plädieren für den Militäreinsatz der Bundeswehr

Die täglichen Bilder vom Elend in Bosnien-Herzegowina vor Augen, haben sich drei bündnisgrüne Politiker vom bislang pazifistischen Grundkonsens ihres Landesverbandes deutlich abgesetzt. In einem gemeinsamen Schreiben an vier Mitglieder der Grünen- Bundestagsfraktion sprechen sich der Abgeordnete Hartwig Berger und die beiden Wilmersdorfer Bezirksverordneten Jürgen Karwelat und Sven Walter für eine Entsendung bundesdeutscher UNO-Militärverbände nach Bosnien aus. Nachdrücklich unterstützen sie die Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck, Helmut Liepelt, Gerd Poppe und Waltraud Schoppe, die kürzlich im Bundestag für die Entsendung deutscher Tornados in das Kriegsgebiet votierten.

Ihre deutlichen Worte stehen im Gegensatz zum Beschluß der Landesdelegiertenkonferenz von Ende Juni, in dem die Berliner Bündnisgrünen die Bundestagsfraktion aufgefordert hatten, dem Tornado-Einsatz auf keinen Fall zuzustimmen. Dagegen verteidigen Berger, Karwelat und Walter das Abrücken der vier Bundestagsabgeordneten. Die „tiefgehende Spaltung“ der Partei in dieser „wichtigen außenpolitischen Frage“ dürfe keineswegs durch eine geschlossene Abstimmung überdeckt werden. Angesichts der neuesten Entwicklung versprechen sich die Autoren eine „erneute innerparteiliche Debatte“, wie Karwelat gestern gegenüber der taz erklärte. Als Mitglieder des Vereins „Keine Mauer durch Sarajevo“, appellierten sie zugleich in einem weiteren Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), dem „Völkermord in Bosnien“ nicht tatenlos zuzusehen. Sie plädieren „notfalls“ auch für den militärischen Schutz der UN-Zonen. Der Belagerungsring um Sarajevo müsse mit „internationalem Einsatz“ gebrochen werden.

Die Debatte um einen militärischen Einsatz ist keinesfalls neu. Vornehmlich von grünen Mitgliedern im Verein „Keine Mauer durch Sarajevo“ wird seit zwei Jahren das einst zu den Säulen der Partei zählende Prinzip der gewaltfreien Politik in Frage gestellt. Neu ist jedoch die Deutlichkeit, mit der jetzt auf die militärische Karte gesetzt wird. Wie sehr das Schlachten auf dem Balkan die grüne Partei verunsichert hat, zeigt der moderate Tonfall, mit dem Fraktionschef Wolfgang Wieland den Vorstoß seines Kollegen Berger kommentiert. Man dürfe weder bei der einen noch der anderen Seite, bei Pazifisten oder Interventionisten die „moralische Legitimation“ ihrer Vorschläge in Zweifel ziehen. Wieland äußerte „Respekt“ für Bergers Position, auch wenn er sie nicht teile. Der Fraktionschef der Bündnisgrünen, der sich selbst nicht zu den Pazifisten zählt, will zwar „militärische Konfliktlösungen a priori“ nicht gänzlich ausschließen. Einen Militäreinsatz der Bundeswehr auf dem Balkan hält er aber für falsch. Dagegen spreche die Erinnerung an die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Wäre er ein französischer Intellektueller, fiele ihm die Entscheidung wohl leichter, glaubt Wieland. In der Fraktion, die derzeit in der parlamentarischen Sommerpause ist, steht Berger mit seiner Haltung derzeit allein. Doch die moralisierende Schärfe vergangener Tage – etwa zu Zeiten des Golfkriegs – scheint überholt. Zu ernst ist das Thema, als daß es sich für „Rechts-links-Schemata“ eignet, wie Wieland meint. Auch für den Berliner Landesverband zeichnet sich ab, so glaubt der Fraktionschef, was Joschka Fischer vor Monaten für die Gesamtpartei feststellte: Die gewaltfreie Lösung von Konflikten und die Einmischung bei Menschenrechtsverletzungen sind offenbar „unvereinbar“. Severin Weiland

Der Verein „Keine Mauer durch Sarajevo“ ruft für morgen, 17.30 Uhr, zu einer Demonstration an der Gedächtniskirche auf. Motto: „Die Menschen in den Schutzzonen schützen! Sarajevo befreien!“

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