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Kunst am Straßenbau Von Ralf Sotscheck

„Das schwarze Schaf war so groß wie ein Lastwagen“, behauptete Joe, „es stand da im Nebel einfach so am Straßenrand und starrte mich an.“ Die Vermutung, daß Joe zu tief ins Glas geschaut hatte, lag zwar nahe, wurde von ihm jedoch entschieden zurückgewiesen. Ebensowenig ließ er seine schlechten Augen als Erklärung gelten. Eine Nachprüfung am nächsten Tag ergab, daß er recht hatte – jedenfalls beinahe: Das Schaf am Rand der Umgehungsstraße von Bray südlich von Dublin war ein Widder. Er war tatsächlich schwarz, riesengroß, dreißig Tonnen schwer und aus Kalkstein.

Joe hatte zum ersten Mal mit dem neuesten Tick der irischen Bauverwaltungen Bekanntschaft gemacht: In Zukunft soll eine Skulptur zu jeder Umgehungsstraße gehören wie das Guinness zur Kehle. Wo immer ein Straßenabschnitt gebaut wird, legt jetzt die jeweilige Verwaltung ein Prozent der Baukosten – höchstens aber 20.000 Pfund, also rund 45.000 Mark – für eine Skulptur drauf. Kunst am Bau – dieses Motto wird wohl nirgendwo mit dem gleichen Enthusiasmus umgesetzt wie in Irland.

Dank der Gelder aus Brüssel schießen Umgehungsstraßen und Skulpturen wie Pilze aus dem Boden. Die „Skulpturen-Gesellschaft Irlands“, die zur Zeit einen Reiseführer zu den Steinmonstern zusammenstellt, hat ein wenig den Überblick verloren: Zwischen 75 und 100 Stück soll es geben, so schätzt man. Allerdings sind viele SchöpferInnen der Kunstwerke gar nicht besonders glücklich. Er habe fast ein Jahr an seiner Skulptur gearbeitet, klagte einer der Bildhauer. Die Staatsknete sei aber für Materialkosten, den Transport und ein Gutachten draufgegangen: „Die Plastik mußte von einem Statiker abgenommen werden, damit keine Gefahr besteht, daß sie irgendwann umfällt.“ Am Ende blieb für den Arbeitslohn nichts mehr übrig. „Ich habe das Gefühl, daß die Leute in den Bezirksverwaltungen diese Projekte nicht etwa durchziehen, weil sie Kunst mögen“, meint der Bildhauer, „sondern weil sie etwas kostenlos bekommen.“ Zum Beispiel drei gigantische Milchkübel zwischen Cork und Mallow, Irlands Käsehochburg. Oder Tausende von steinernen Vögeln, die der Belfaster Künstler Philip Napier an die Umgehungsstraße von Portlaoise hängen will.

Nicht immer sind die Skulpturen nur ein harmloser Blickfang. An der Autobahn bei Naas, einem Dubliner Vorort, bauen Rachel Joynt und Remco de Foue zur Zeit einen Betonball, der 15 Meter im Durchmesser groß sein soll. Danach wird das Ungetüm mit Straßenfarbe angestrichen und mit Fahrbahnmarkierungen verziert. Leute mit schlechten Augen, die wie Joe trotzdem Auto fahren, werden diese Kugel vermutlich eines Tages mit der Hauptstraße nach Dublin verwechseln und sich dann höllisch wundern.

Neulich behauptete Joe, er habe erfahren, daß ein Dubliner Künstler gerade die irische Fußballmannschaft und ihren Trainer Jack Charlton in Stein haue. Charlton sei vierundzwanzig Meter groß, und selbst der kleine Houghton bringe es angeblich noch auf siebzehn Meter fünfzig. „Die zwölf Figuren sollen an die Autobahn bei Naas gestellt werden“, meinte Joe, „das erklärt auch den 15-Meter- Fußball aus Beton.“ Diesmal hat Joe höchstwahrscheinlich gelogen.

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