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Ungleiche Mischung

■ Geheimdienstliches in zwei Erzählungen von Wolfgang Hegewald

Zwei sehr unterschiedliche Geschichten, die sich kaum mehr als thematisch berühren, hat der Schriftsteller Wolfgang Hegewald in seinem neuen Band „Der Saalkandidat“ versammelt. Beide Male spielt der Geheimdienst eines „unaussprechlichen Landes“ eine Rolle, die krakenhafte Einrichtung jenes zweiten deutschen Staates, der vor fünf Jahren von der Bildfläche verschwunden ist. Das ist aber auch schon alles, was die beiden Erzählungen verbindet. Im Mittelpunkt der Titelgeschichte steht der Mitarbeiter einer sich auflösenden Behörde, Sigmund Wenz. Er selbst nennt den Spitzelverein, dem er angehört, die „Akademie“. Wenz bekommt einen letzten Auftrag von seinem Chef. Er macht sich – ausgestattet mit einem Bündel Geld – auf den Weg in die Nordseestadt B., wo er als Besucher an einer Wettshow in der örtlichen Stadthalle teilnimmt. Dort tritt – mit dem Vorschlagsrecht für eine eigene Wette – ein ehemaliges Opfer von Wenz als Saalkandidat auf. Roland Hector, so heißt der Mann, war 1983 in den Westen gekommen (wie Hegewald selbst), nachdem er als Autor den Nachstellungen der „Akademie“ ausgesetzt gewesen war. Hector macht einen atemberaubenden Vorschlag: Er wettet, bis zum Ende der Sendung wenigstens zehn Mitarbeiter der Staatssicherheit im Publikum ausfindig gemacht zu haben – vermittels seines Geruchssinnes. Hector, das Opfer von einst, wird selbst zum Schnüffler. Doch ehe er beginnen kann, hageln die Fragen des Showmasters auf den Kandidaten nieder, die ihn als einen ewigen Verlierer entblößen, als jemanden, der es in keinem System zu etwas bringen wird. Die Erfahrungen Hectors sind im Westen nicht gefragt: kein Unterhaltungswert.

Als „hintersinnig wie amüsant“ wird die Geschichte auf dem Klappentext annonciert. Beides ist sie nicht. Sie ist nicht hintersinnig, sondern höchstens so gemeint. Bis hinein in die Namensgebung wird überdeutlich, was gemeint ist (Roland Hector, der Spürhund). Bleibt die Grundidee, die bei der nächsten „Wetten daß!?“-Show in Finsterwalde unbedingt realisiert werden sollte.

Die zweite, 1987/88 geschriebene Geschichte kreist um die Affinität des literarischen Kolporteurs zum geheimdienstlichen Berichterstatter: Die Grenzen zwischen Schreiber und Schnüffler werden fließend. Ein Thema, wie es das Leben schreibt. Ein eigentümlicher Agent, über den es im Text heißt, er wünsche, „anonymer Erzähler“ zu bleiben, wird auf Dienstreise von Ost-Berlin nach Rom geschickt, an den „Ort der Erzählung“. Dort findet er seinen Gegenstand, drei ehemalige DDR-Bürger, die sich – nach Art des Dekamerone – nacheinander wie zum Zeitvertreib die Geschichte ihrer Herkunft erzählen. Die drei Emigranten, die sich vorgenommen haben, mit deutscher Beflissenheit die italienische Sprache zu studieren, aber gerade wegen dieser Beflissenheit von ihrem Lehrer verachtet werden, hecken einen Racheplan aus. Mario, der Sprachlehrer, soll beiseite geschafft werden. Im Fortgang der Geschichte mehren sich die phantastischen Ereignisse. Dem Erzähler fällt die Fähigkeit zu, dicht über dem Erdboden zu fliegen, er verwandelt sich zwecks Konspiration in ein altes Weib, „eine schmierige Vettel“, und zum Schluß sieht er überall bedrohliche Zeichen und wird, unter den lustvollen Blicken der Emigranten, von „sieben Kapuzenmännern“ überfallen.

Alles das, was der Geschichte über den „Saalkandidaten“ fehlt, Leichtigkeit, Humor und Hintersinn, findet sich hier. „Aus der Basilika Sant' Agnese trat ein Kater, schwarzgekleidet, weiße Stiefel und weißer Brustlatz, streckte sich und überquerte ohne Hast den Hof, breitbeinig und steif wie ein gealterter Revolverheld, um in den Büschen am Rande des Sportplatzes zu verschwinden.“ Der Held der Geschichte ist Diener zweier Herren: Unterwegs im Auftrag seines Chefs, der ihm einen Dienstplan in Form eines Adventskalenders mit täglich zu öffnenden Fenstern mitgegeben hat, und im Auftrag des Lesers, der ohne seine Spitzeleien uninformiert bliebe. Was Jahre später in der wenig charmanten These gipfeln wird, die eigentliche Literatur der DDR finde sich in der schriftlichen Hinterlassenschaft der Stasi, ist in Hegewalds Geschichte vorausgeahnt. Peter Walther

Wolfgang Hegewald: „Der Saalkandidat“. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1995, 215 Seiten, 32 DM.

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