: Gut gekühlt ganz heiß drauf
Der Barmann schmort in der Hochhausbar, Bauarbeiter schlucken den Schweiß weg per Pils – nur die Achseln der Dekorateure bleiben trocken ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen
Die Badenixe räkelt sich auf dem Surfbrett, weit und breit ist kein Strand in Sicht. Dafür aber viel trockenes Land und heißes Pflaster. 35 Grad mißt das Taschenbarometer am Donnerstag nachmittag auf der Frankfurter Einkaufsmeile Zeil. Die Nixe im Schaufenster des umsatzstärksten Kaufhauses der Republik ist aus Plastik. Mit dem Slogan „Heißer Markt für Wellenreiter“ verführt sie zum Kauf von elektronischem Gerät. Um die Ecke weht ein leichter Großstadtwind, an der Tür des Warenhauses zieht der kühle Sog der Klimaanlage die Menschen nach innen.
SchaufenstergestalterIn, das müßte heute noch ein heißer Beruf sein, gerade jetzt, wenn in den Auslagen verbilligte Stapelware die Kunden anlocken soll. Doch das, sagt Chefdekorateur Rolf Oesterreich, „das war einmal“. Gut erinnert er sich an die Schwitzerei hinter Glas, als Tücher im Sommer nicht nur die Blicke der neugierigen Passanten, sondern auch die Sonne abhalten sollten: „Heute sind wir das bestklimatisierte Kaufhaus Deutschlands.“ Und wenn die Kundin ausgerechnet in der Mittagshitze „des klaane Grüne ausse Auslage“ haben möchte, näßt das kaum noch die Achseln. Die Schaufenster sind von oben bis unten mit kühlem Marmor getäfelt, die Temperatur steigt wenig mehr als sechs bis sieben Grad über die im Innenraum des Konsumtempels. Und da scheint es in der Tat angenehm kühl zu sein. Auskunft gibt Kollege Detlef sekundenschnell per Telefon und direkt aus dem Computer: Erdgeschoß 23 Grad, erster Stock 23,9 Grad, 24,2 Grad im fünften Stock. Oesterreich, seit 40 Jahren im Beruf, verrät das Geheimnis moderner, elektronischer Kaufhaus-Kühltechnik: „Immer genau sieben Grad niedriger als außen.“ Sonst nämlich „bekommen die Leute einen Schock, wenn sie wieder raus gehen.“
Ein viel größeres Problem sei das Heizen im Winter: „Die Kunden kommen in Mänteln, und die Verkäuferinnen frieren in ihren dünnen Kostümen.“ Und wie warm ist es nun in den Schaufenstern? So sechs bis sieben Grad heißer als im Kaufhaus, circa Außentemperatur also. Und wenn es ganz heiß hergeht, spendet das Haus Getränke.
Paradiesisch kühle Arbeitsbedingungen – jedenfalls gemessen an denen von Dirk. Der steht mit seinem Bratwurststand um die Ecke – und strahlt übers ganze Gesicht. Na ja, die Kunden drängen sich nicht gerade. Und wenn, dann wollen sie trotz des ermunternden Schriftzuges „iß was“ lieber Cola und Mineralwasser. Auf dem Rost schrumpeln nur ein paar dünne Würste und zwei Steaks. Dirk ist blond, groß und rosig unter dem Dreitagebart. Die Haarborsten glänzen vom Gel und nicht vom Schweiß. Und das bei „so etwa 50 bis 55 Grad“ in der Bude. Hitzetote in den USA? Er hält es hier acht Stunden täglich aus, seit neun Jahren schon.
„Les facettes“, die achtstöckige Tonne des in Miami schwitzenden Baulöwen Schneider, ist innendrin ebenfalls sieben Grad kühler als draußen. Im gläsernen Fahrstuhl glüht es wie im Backofen – wegen der Gemengelage aus Höhenangst und Fahrgastgedrängel. Der Lift fährt geradewegs zum Arbeitsplatz von Bojan auf das Dach des Hauses mit Panoramablick über die Zeil bis auf die andere Seite des Mains. Bojan ist Barmann auf der runden Terrasse unterhalb der Aussichtsplattform. Er arbeitet dort zwar im Freien, aber nicht an der frischen Luft. Eine Hitzeglocke deckelt das Haus, die Gäste brutzeln unter den Sonnenschirmen wie Eier in der Pfanne. Die Bar ist aus modischem Edelstahlblech und glüht wie ein Pizzaofen. Bojan mag seine Arbeit ebenso gern wie Dirk. Er findet es schade, daß es bei der Hitze nicht so läuft: „Es ist doch sehr schön hier oben.“ Er zupft an seinem blütenweißen Hemd, füllt Getränke nach und will sich einfach nicht beklagen. Nur als die kleine Wolke, die kurz vor die Sonne gezogen ist, verfliegt, muß er blinzeln, denn der Fixstern strahlt genau von Süden über den Fluß in seine schicke Blechbar und blendet ihn.
Heiße Arbeitsplätze? Wenn also keiner klagen will außer der Bankangestellten, die hüstelt und der es wegen der Klimaanlage in ihrem Schalter viel zu kühl ist, dann lassen sich vielleicht die Bauarbeiter bedauern. Weit gefehlt auch das. „Kommen Sie nur runter, junge Frau“, lädt einer nicht ganz uneigennützig ein. Nach Augenschein ist das Thema abgehakt. Die beiden Herren ziehen sich wieder auf ihre Ausgangsposition zurück. Und die ist unter einer Plane auf dem Dach eines zwölfstöckigen Gebäudes. Ihre Füße ruhen auf zwei eisgekühlten Bierkästen, die wiederum zwischen Stangeneis gelagert sind, Kühlmittel außen und per Pils auch innen. Die runden, nackten Bäuche hängen prall über den Hosenbünden, glänzen schweißfeucht. Und die Gesichter strahlen. Es geht ihnen ja auch wirklich gut.
Chef hier oben, bei der Hitze? Keine Spur von dem. Außerdem, werden sie wesentlich, interessiere sie der Sommer diesen Sommer „einen Scheißdreck“. Jedenfalls sehr viel weniger als der Winter. „Schleschtwäddegeld“ können sie noch deutlich sagen, „des is geschtrische“, aber Winter- und ein Überbrückungsgeld sollen sie statt dessen von den Arbeitgebern bekommen. Im September wird die Gewerkschaft weiterverhandeln: „Da sind wir ganz heiß drauf!“
Seit Wochen versuchen die Krankenpflegerinnen und -pfleger in der Universitätsklinik, den Patienten über die Hitzewellen hinwegzuhelfen. Wo immer es geht, stehen Fenster und Türen auf Durchzug in den Abteilungen, die keine Klimaanlage haben. Das Personal hat sich zu wahren Ventilationsexperten entwickelt, die jeden Lufthauch einfangen und ausnutzen. Einer hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Er erinnerte sich an die alte Eismaschine aus seiner Ausbildungszeit, mit deren Würfeln damals – heute überholt – Kranke zur Vorbeugung gegen Lungenentzündung gekühlt wurden: „Die haben damals davon nur einmal vor Schreck gejapst, dann war der Effekt weg.“ Jetzt jedenfalls ist der Eisautomat, wenn der Pfleger die Zeit dazu hat, immer noch gut, den PatientInnen ganz einfach „ein besseres Gefühl“ durch Kühlung zu verschaffen. Ein Problem, das sehen er und seine Kolleginnen so, ist die eigene Dienstkleidung. Sie ist zwar blütenweiß, enthält aber schweißtreibenden Kunststoff. Nur auf den Intensivstationen ist sie 100 Prozent Baumwolle. Alles andere, ist ihnen gesagt worden, übersteige die Kapazität der Wäscherei.
Anna trägt ihre privaten Baumwoll-Shirts, verstößt damit eigentlich gegen die Dienstordnung. Und das „wird manchmal bemängelt“. Daß die Krankenzimmer an der Südseite weder Markisen noch Jalousien haben, sei auch ein Mangel. Der kann noch verschärft werden, berichten zwei KollegInnen aus einer anderen Abteilung. Ausgerechnet während der heißen Tage im Mai seien auch noch alle Gardinen auf einmal weg gewesen, streng nach Plan und nicht nach Wetter gewaschen worden. Peter hat die Patientenfenster in seiner schweißtreibenden Not damals vorübergehend mit angeklebten Bettlaken verhängt.
Daß im Krankenhaus körperlich schwer gearbeitet wird, ist einem Pfleger anzusehen, der zwei Stockwerke tiefer einer frisch operierten, älteren Frau zum ersten Mal wieder auf die Füße hilft. Während er ihr gut zuredet, sich festzuhalten und bei den Gehversuchen nicht auf den Boden zu sehen, laufen ihm die Schweißtropfen in den Hemdkragen. „Macht nichts“, sagt er, „Hauptsache, sie läuft auch.“
Ein heißer Arbeitsplatz ist auch das repräsentative Öko-Bürohaus in Frankfurt-Bockenheim, zumindest stellenweise, das bestätigt Susanne Stück vom Kreisverband der Grünen. Ihr Büro im 4. Stock liegt am Ende des Seitenflügels mit Blick durch hohe Fenster auf das Grasdach und die Bahngleise. Die Bäume sollten eigentlich Schatten spenden. Nur sind sie etwas dürr und kahl geraten. Fenster öffnen? Dann wiederum wäre wegen der Stadt- und Bundesbahnen das eigene Wort nicht mehr zu verstehen. Die Alternative ist der elegante, teure Deckenventilator mit Fernbedienung. Ein Klick, ein sanftes, immer schnelleres Rotieren. Und schon wirbeln alle Papiere auf den Schreibtischen quer durch den Raum.
Stück tippt auf „Aus“ und sagt sanft lächelnd in der flimmernden Hitze: „Schreib das nicht, das geht schon wieder gegen das arme Öko- Haus.“ Dessen Verwaltung läßt die klimatischen Kinderkrankheiten seit Wochen fieberhaft baulich nachbessern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen