: 70 Bürgermeister gegen vier Kühltürme
■ Die „Bewegung Regenbogen“ organisiert den Protest gegen das AKW Temelin
Temelin (taz) – Honza und Marek aus Budweis/České Budějovice haben genug von der Gleichgültigkeit und Lethargie. Vor ihren Augen entsteht seit knapp zehn Jahren in dem Dörfchen Temelin ein Atomkraftwerk. Doch niemand protestiert. Die beiden Studenten sind aktiv geworden und nehmen an dem Anti-AKW- Camp teil, das die Umweltorganisation Hnuti Duha (Bewegung Regenbogen) in der Nähe der Riesenbaustelle durchführt.
Die Regenbogen-Bewegung hat sich keine leichte Aufgabe gestellt. Sie will die Menschen in der Region aufrütteln, ihnen zeigen, daß ziviler Ungehorsam existiert und praktikabel ist und daß auch ein einmal gefällter Regierungsbeschluß durch den Protest der Bevölkerung gestürzt werden kann. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. An der AKW-Blockade vor einem Jahr nahmen neben 150 Umweltaktivisten gerade mal fünf Bewohner aus der Region teil. Zu tief sitzt die Passivität, zu der die Menschen in den vergangenen 40 Jahren von der Regierung erzogen wurden, zu groß ist die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Über 2.000 Menschen arbeiten auf der Baustelle, die damit der größte Arbeitgeber der Region ist.
Zudem glauben die meisten nicht, daß sie angesichts der vier Kühltürme, die von überall zu sehen sind, noch etwas gegen das AKW unternehmen können. Hier setzt die Aufklärungsarbeit der Hnuti Duha und des Anti-AKW- Camps an. Rund 40 bis 50 zumeist junge Leute radeln seit Anfang Juli durch die malerische Landschaft, verteilen Flugblätter und bieten der Dorfbevölkerung von Temelin an, die Häuser zum Selbstkostenpreis zu isolieren. Das Angebot wird angenommen, Kontakte werden geknüpft. An die 70 Bürgermeister der Region haben sich inzwischen gegen das Mammutprojekt 25 Kilometer nördlich von České Budějovice ausgesprochen und der tschechischen Regierung ihren Protest übermittelt.
Die aber hält an dem Erbe des vergangenen Regimes fest und kämpft unbeirrt gegen alle auftretenden Probleme: Das aus dem Jahre 1981 stammende Projekt mußte umgearbeitet werden, die russischen Druckwasserreaktoren des Typs WWER-1000 sollen mit einer Sicherheitsanlage der US- amerikanischen Firma Westinghouse ergänzt werden – ein Experiment, das den Amerikanern das Tor zum osteuropäischen Energiemarkt aufstoßen soll. Wenn es versagt, könnte es Tausenden von Menschen in Böhmen, Bayern und Österreich das Leben kosten.
Ob sich das Kraftwerk je rentiert, wird immer zweifelhafter. Die Baukosten erhöhen sich ständig, Anfang Juli mußte die Regierung zugeben, daß das AKW weitere fünf Milliarden Kronen verschlingen wird und sich die Kosten damit auf rund 75 Milliarden Kronen belaufen werden, umgerechnet rund vier Milliarden Mark. Außerdem wurde bekanntgegeben, daß sich die Inbetriebnahme um ein weiteres Jahr verzögert. Nach den jetzigen Plänen soll der erste Block nun im September 1997 ans Netz gehen und nicht wie bisher vorgesehen 1996. Also noch Zeit genug, die Bevölkerung aus ihrer Lethargie zu wecken.
Im letzten Jahr haben die Umweltschützer von Hnuti Duha gezeigt, daß die vier Kühltürme auch anders genutzt werden können: nämlich als Riesenleinwand für ein Open-air-Kino. Katrin Bock
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