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Polnische Vettern

Walesas Veto gegen das Privatisierungsgesetz gescheitert / Solidarność für Generalstreik  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Kaum waren die Abgeordneten in den Sommerurlaub gestartet, als sie schon wieder zurückbeordert wurden. Lech Walesa, der Staatspräsident Polens, hatte mit seinem Veto das Privatisierungsgesetz gestoppt. Vier Tage später, am Freitag nachmittag, mußten die Abgeordneten erneut abstimmen. Um das Ende Juni vom Parlament verabschiedete Gesetz zu retten, brauchte die regierende Linkskoalition eine Zweidrittelmehrheit. Es begann ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Opposition: Wer würde es schaffen, mehr Abgeordnete zurück nach Warschau zu bringen? Am Freitag abend stand das Ergebnis fest. Gewonnen hat die Regierungskoalition. Die Abgeordneten bestätigten mit 293 Stimmen das Gesetz in seiner ursprünglichen Form. Der Opposition fehlten sechs Stimmen, um das Veto des Präsidenten durchzusetzen. Nun bleibt Walesa nur noch die Möglichkeit, das Verfassungsgericht anzurufen.

„Wir vergesellschaften die Privatisierung“, hatte Bogdan Pek, einer der Autoren des „Gesetzes zur Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsbetrieben“, das neue Paragraphenwerk gelobt. Die noch zu privatisierenden Staatsbetriebe – es sind über 4.000 – sollen in einem ersten Schritt, der „Kommerzialisierung“, in sogenannte „Ein-Personen-Gesellschaften“ verwandelt werden. Die „eine Person“ ist dann allerdings wieder der Staat, der alle Anteile an der Gesellschaft hält. Erst in einem zweiten Schritt sollen die Aktien an Privatpersonen verkauft werden. Zu diesem zweiten Schritt aber muß es nach dem Gesetz nicht kommen. Die Staatsfirmen können „kommerzialisiert“ werden, ohne daß eine spätere Privatisierung auch nur angestrebt wird.

Das ist der Hauptkritikpunkt, den Walesa, alle Oppositionsparteien und auch die Gewerkschaft Solidarność geltend machen. Professor Leszek Balcerowicz, der Vater der polnischen Marktwirtschaft und Vorsitzende der „Union der Freiheit“ (UW), der größten Oppositionspartei, wirft der Regierung vor, mit dem Gesetz eine „Vetternwirtschaft“ zu etablieren. Durch die geplante Kommerzialisierung entstehen Tausende von Aufsichtsratsposten, die vom Staat zu besetzen sind.

Was das bedeutet, ist allen klar: Die Mitglieder der derzeit regierenden Linkskoalition sind in ihrer Mehrheit aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) hervorgegangen. Die alten Genossen, so vermutet die Opposition, wollen die lukrativen Aufsichtsratsposten unter sich aufteilen. Die Gewerkschaft Solidarność hat für den Fall, daß das Veto des Präsidenten überstimmt werden sollte, einen Generalstreik für den Herbst angekündigt. Denn mit der Kommerzialisierung, die die Staatsbetriebe in „Staats-Gesellschaften“ verwandeln wird, verlieren die Gewerkschaften ihre Mitspracherechte.

Die eigentliche Privatisierung, nunmehr der „zweite Schritt“, ist weit schwieriger geworden. Der Privatisierungsminister hat kaum noch etwas zu sagen. Demnächst stimmt der Sejm bei jedem Unternehmen aus den Bereichen der Rüstungs-, Öl- und Gasindustrie sowie bei Banken, Versicherungen und der Telekom darüber ab, ob der Betrieb privatisiert werden darf oder nicht.

Es ist allerdings fraglich, ob sich nach dieser Regelung noch ein Unternehmer finden wird, der ein kommerzialisiertes Staatsunternehmen kaufen möchte. Laut Gesetz kann der Unternehmer nämlich nur 45 Prozent der Aktien erwerben, 15 Prozent werden kostenlos an die Mitarbeiter verteilt, der Rest bleibt in den Händen des Staates.

Nur wenn es dem Unternehmer gelingt, den Arbeitern ihre Anteile abzukaufen, hat er in der eigenen Firma auch etwas zu sagen. Doch das ist ein Vabanquespiel, da die Arbeiter ihre Anteile auch dem Staat oder jedem anderen verkaufen können, der einen höheren Preis bietet.

„Die falschen Freunde des Volkes“ titelte die Trybuna, das ehemalige Parteiorgan der PVAP. Gemeint waren der Präsident und die gesamte Opposition. Lech Walesa, so meinte der Kommentator in alter Tradition, sei es nicht am Wohle des Volkes gelegen, sondern an der eigenen Macht. Mit dem Veto gegen das Privatisierungsgesetz habe er sich die politische Unterstützung für den kommenden Wahlkampf sichern wollen. Und auch die größte Oppositionspartei, die UW, habe sich den „populistischen Verbänden“ angeschlossen, der Solidarność und den anderen Gewerkschaften.

Sowohl Ministerpräsident Jozef Oleksy wie auch sein Stellvertreter Grzegorz Kolodko bedauerten, daß das Gesetz bereits kritisiert werde, bevor es in Kraft getreten sei. Die Argumentation ist insofern etwas merkwürdig, als das Parlament ja gerade die Aufgabe hat, Gesetzesvorlagen kritisch zu überprüfen. Nachdem das Veto des Präsidenten am Freitag abend überstimmt war, meinte Oleksy gutgelaunt: „Wir werden die Wirkung des Gesetzes genau beobachten. Bei einer eventuellen Novellierung können wir die eine oder andere Anregung der Opposition aufnehmen.“

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