: "Stapel von Särgen sind noch nicht dort"
■ Jürgen Meinberg vom Deutschen Bundeswehr-Verband über geliehene Schußwesten, das richtige Verhalten bei Gefangenschaft und Folter und über den Tod in Bosnien-Herzegowina
taz: Herr Meinberg, der Bundeswehr, haben Sie neulich geklagt, fehlten „schußsichere Westen“, „Infrarotgeräte“, auch die „Bewaffnung der Hubschraubern“ sei ungenügend. Ist das Heer eine schlecht ausgerüstete Pfadfindertruppe – völlig unvorbereitet für den Kampfeinsatz in Bosnien?
Meinberg: Meine Klagen bezogen sich vor allem auf die Hubschrauber, etwa beim Einsatz in Somalia und im Irak. Dort fehlten einfach die Voraussetzungen, um die Aufgaben sicher für die Soldaten durchzuführen. In Ruanda wurden elf Journalisten der Deutschen Welle gefangengenommenen, und die sollten befreit werden – aber unsere Hubschrauber waren für so eine Aktion nicht ausgerüstet. Bis jetzt hatte die Bundeswehr ja nicht mal schußsichere Westen. Die in Somalia eingesetzten Kameraden haben sich ihre schußsicheren Westen selber gekauft.
Ziemlich absurd, das. Bei einem Rüstungsetat von etwa 50 Milliarden Mark müßten doch ein paar Westen drin sein?
Da hat sich ja auch etwas geändert. Inzwischen sind etwa 2.000 schußsichere Westen beschafft worden – für die Sanitäter, die in Split stationiert sind, und die sie schützenden Luftlandesoldaten. Allerdings wiegen die Westen, die alle Voraussetzungen erfüllen, zwölf Kilogramm. Die sind nicht geeignet für fliegendes Personal. Deswegen haben die sich für den Bosnien-Einsatz leichtere schußsichere Westen von den Amerikanern ausgeliehen.
Wie bitte?
Ja, so ist es. Der Lademeister einer Transall muß sich doch hinten im Laderaum bewegen können. Den kann ich nicht noch zusätzlich mit zwölf Kilo belasten!
Im Klartext: Die Soldaten sind unzureichend ausgerüstet – handeln Bundesregierung und auch Sie nicht verantwortungslos? Nehmen Sie da nicht die fahrlässige Tötung der Soldaten wissentlich in Kauf?
Nein, das können Sie so nicht sehen! Aber keiner ist auf diesen UNO-Einsatz richtig vorbereitet, weil der eine ganz andere Qualität hat. Deshalb gibt es ja bei uns nun eine spezielle UN-Trainingsschule. Unsere Offiziere und Unteroffiziere gehen außerdem noch ins Zentrum für innere Führung, wo sie psychologisch vorbereitet werden: Wie helfe ich, wenn neben mir der Kamerad erschossen wird? Wie verhalte ich mich in Gefangenschaft? In Gefangenschaft sagt man den Fragenden nur bestimmte Dinge. Die Amerikaner bilden da einfach besser aus. Die lernen, bestimmte Torturen durchzustehen, ohne etwas zu verraten.
Der deutsche Soldat – eine Memme, die zu schnell petzt?
Ob sie petzen, weiß ich nicht. Die werden die Dinge sagen, die sie sagen dürfen, ansonsten werden sie schweigen. Und wenn jemand gequält wird, dann sagt er eben mehr.
Ihre Soldaten kennen Krieg bisher nur als Sandkastenspiel. Haben sie nun Angst vor dem Ernstfall?
Was heißt Angst? Die haben Respekt vor dem, was auf sie zukommt. Sie wissen, daß der Krieg in Bosnien eine andere Qualität hat, als die Übungen zu Hause. Aber ich denke schon, die Ausbildung der Soldaten müßte umfassender werden. Schon in der Grundausbildung, ja, schon in der Schule müßte auf diese neuen Pflichten hingewiesen werden.
Gerade darauf hat die Jugend keine Lust, schon gar keine Lust auf Krieg: Die Zahl der Wehrdienstverweigerer steigt rasant.
Das ist ein politisches Problem.
Wohl nicht nur. Sie selbst haben vor kurzem ein „neues Nachdenken über Leiden, Schmerz und Tod gefordert“.
Wir Soldaten stehen zu unserem Auftrag, ohne groß „Hurra!“ zu schreien. Die Tornado-Piloten gehen mit großem Ernst in die Sache hinein. In der Ausbildung muß man mental auf Tod und Schmerz vorbereitet sein, aber auch die Gesellschaft. Wenn der erste dort unten erschossen wird, darf hier die politische Diskussion nicht wieder aufflammen.
Ist das Ihre Angst?
Es besteht die Gefahr, daß die Masse der Bevölkerung nicht mehr daran denkt, warum wir den Einsatz durchführen. Die Reaktion wird sein: Raus da! Aufhören!
Mit der Fürsorge des Verteidigungsministeriums ist es nicht weit her. Das traurige Ende wird nicht einkalkuliert. Ein Sprecher des Ministeriums gab jedenfalls gegenüber der taz zu, an Särge und den eventuellen Transport von toten Soldaten nach Hause habe man „bisher noch nicht“ gedacht.
Das ist Verdrängung. Ich bin überzeugt, daß die Sanitätscrew in Split auch Dinge hat, um einen getöteten Menschen würdevoll in die Heimat zurückzuführen. Es werden sicher keine Stapel von Särgen dort sein. Im Golfkrieg haben die Amerikaner ihre Toten in Plastiksäcke getan. Darüber haben sich hier damals viele aufgeregt. Aber warum denn? Wenn ein Verkehrsunfall passiert, und auf der Straße liegt ein tödlich Verletzter, wird der ja auch erst mal in einen Plastiksack gelegt, bis er in einen Zinksarg kommt.
Herr Meinberg, verstehen Sie die Soldaten, die nicht in den Krieg ziehen wollen?
Ich respektiere so eine Entscheidung. Aber ich erwarte, daß diese Soldaten die Konsequenzen ziehen und die Bundeswehr verlassen. Interview: Thorsten Schmitz
Stabshauptmann und Hubschrauberführer Jürgen Meinberg, 52, war sechsmal im UNO-Einsatz in Irak, sitzt im Vorstand des Bundeswehr- Verbandes und gibt die Zeitschrift „Die Bundeswehr“ heraus. Dem Deutschen Bundeswehr-Verband, einer Art Gewerkschaft des Militärs, gehören 250.000 Soldaten an.
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