: Abschiebung trotz Suizidgefahr?
■ Verwaltungsgericht bremst Ausländerbehörde und stellt sich hinter Flüchtling aus Togo
Ginge es nach der Ausländerbehörde, der Togoer A. wäre gestern abgeschoben worden. Der Mann, seit Februar in Abschiebehaft, hatte am Dienstag versucht, sich in einer Zelle der Ostertorwache zu erhängen. Eine Suizidgefahr habe das Hauptgesundheitsamt nicht erkannt, teilte Merve Pagenhardt, Referentin des Innensenators, am Donnerstag der taz mit. „Wir schieben ab“, sagte sie. Ein Termin stehe nicht fest, da der Mann in Absprache mit dem Bundesgrenzschutz begleitet werde.
Diesen Termin setzte die Abschiebebehörde für den 24.7. fest. Was Merve Pagenhardt vergangene Woche wahrscheinlich, Uwe Papencord, Leiter der Abschiebebehörde aber mit Sicherheit wußte, ist, daß das Hauptgesundheitsamt zwar keine Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, sehr wohl aber eine akute Suizidgefahr bei dem togolesischen Flüchtling als gegeben ansieht. Der untersuchende Arzt hatte den Eindruck, daß der Mann weiterhin versuchen werde, sich umzubringen:
„Herr A.“ heißt es im Gutachten des sozialpsychiatrischen Dienstes, „schildert seine Situation mit spürbarer Verzweiflung, immer wieder in Tränen ausbrechend. Er sieht sich selbst in einer ausweglosen Situation, die er wiederholt in ähnliche Formulierungen faßt: Lieber wolle er tot sein als nach Togo zurück zu müssen. Im Denken ist er auf die Absicht, sich umzubringen, eingeengt.“
Trotzdem verfolgte die Abteilung Papencord ihr Vorhaben weiterhin mit Intensität: Den vom Rechtsanwalt des togolesischen Flüchtlings am Mittwoch gestellten Antrag auf eine Duldung lehnte die Abschiebebehörde am Freitag ab. Noch am selben Tag stellte der Anwalt einen Antrag auf den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht. Mit Erfolg: Der vorsitzende Richter, dem die ganze Akte und damit auch das sozialpsychiatrische Gutachten vorlag, gab diesem Antrag zumindest teilweise statt. Nicht wie beantragt drei, aber immerhin einen Monat ist der Flüchtling nun vor dem Zugriff der Abschiebebehörde sicher.
„Die Abschiebung des Antragstellers ist zu dem vorgesehenen Zeitpunkt aus rechtlichen Gründen unmöglich“, heißt es in der Begründung. „Eine rechtlich Unmöglichkeit folgt hier aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG.“ Soll heißen: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und er hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. „Die Berücksichtigung der sich aus diesen Grundrechten ergebenden staatlichen Schutzpflichten“, so der Richter, „muß hier zu einem Absehen von der vorgesehenen Abschiebung am 24. Juli führen.“
Der Richter zog bei seiner Beurteilung in Betracht, daß sich die bestehende Suizidgefahr für den Flüchtling durch die behördlich initiierte Zuspitzung der Geschehnisse zusätzlich verschärft haben muß: Er konstatierte, „daß die Antragsgegnerin (die Abschiebebehörde, die Red.) die Abschiebung zunächst für den 20.7. vorgesehen und dies dem Antragsteller hat mitteilen lassen und dann die Abschiebung – auch in Ansehung des am 18.7. erfolgten Selbstmordversuches des Abtragstellers – lediglich bis zum 24.7. aufgeschoben hat. Darin liegt ein so enger zeitlicher Ablauf, daß sich die Umstände des Einzelfalls aus Sicht des Antragstellers als erhebliche Eskalation darstellen müssen.“ Außerdem habe der Flüchtling miterleben müssen, wie ein Mitinsasse seiner Zelle am 20.7. ebenfalls einen Suizidversuch beging.
Noch bevor der Richter am Freitag den Erlaß der einstweiligen Anordnung verfügte, teilte er der Ausländerbehörde mit, daß nach Aktenlage aus seiner Sicht von einer Abschiebung abzusehen sei. Die Ausländerbehörde aber willigte nicht ein, den Abschiebebeschluß ohne den Einsatz von Rechtsmitteln vorläufig zurückzuziehen. Unter keinen Umständen wollte man auf die Entscheidung des Gerichtes verzichten. Bleibt nun abzuwarten, ob sie sich damit zufrieden gibt, oder ob sie sich jetzt täglich nach der Reisetauglichkeit des Flüchtlings erkundigt. Sollte die sich vor Ablauf des Monats einstellen, darf abgeschoben werden, denn über die Abschiebung selbst hat das Verwaltungsgericht nicht zu entscheiden. dah
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