: Sperenberg - der Ökologie zuliebe
■ Interview mit Helmut Bojanowski, für die Gewerkschaft ÖTV Aufsichtsratsmitglied der Flughafen Holding / Sperenberg nicht zu bauen bedeutet, daß Tegel offenbleibt / Ökologische Argumente sprechen für Spere
Morgen tagt der 20köpfige Aufsichtsrat der Berlin Brandenburg Flughafen Holding, in dem die Arbeitnehmerseite zehn, Berlin und Brandenburg jeweils vier und der Bund zwei Sitze haben. Es gilt als sicher, daß das Gremium für ein Sperenberg-Finanzierungskonzept, das Brandenburg bis Jahresende vorlegen muß, fünf Millionen Mark entsperrt. In den letzten Tagen erzielten Diepgen (CDU) und Stolpe (SPD) Einigkeit über die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für den Ausbau des Terminals West in Schönefeld. Strittig bleibt Brandenburgs Forderung nach Vorarbeiten für ein Planfeststellungsverfahren für Sperenberg.
taz: Herr Bojanowski, wie werden die drei ÖTV-Vertreter auf der Sondersitzung des BBF-Aufsichtsrats stimmen?
Helmut Bojanowski: Wenn sich einer der drei Anteilseigner [Berlin, Brandenburg und der Bund; die Red.] zu Sperenberg bekennt, werden wir mit ihm stimmen. Unsere Beschlußvorlage lautet: Sperenberg muß der neue Standort werden, zugleich aber muß Schönefeld ertüchtigt werden. Behinderungspolitik ist nicht unser Ziel.
Am Mittwoch wird es auch um den Ausbau des Terminals West gehen, für den 230 Millionen Mark veranschlagt wurden. Wird damit nicht ein zentraler Flughafen präjudiziert?
Das Problem sehen wird durchaus. Deshalb gibt es ja dieses Gezerre im Hintergrund: Wieviel kann man Schönefeld zubilligen, ohne den Standort Sperenberg aufzugeben? Wir hätten es lieber kostengünstiger, sehen aber das Problem, daß für eine Zwischennutzung von Schönefeld eine attraktive Lösung her muß. Derzeit bleiben die Fluggesellschaften ja lieber in Tegel.
Man hat den Eindruck, bei der Flughafen-Debatte formieren sich überraschend neue Lager. In ihrem Widerstand gegen Sperenberg treffen sich die Bündnisgrünen mit Teilen der CDU, die, wie ihr Fraktionsvorsitzender Klaus-Rüdiger Landowsky, das Wort von Schönefeld als „Hauptstadtflughafen“ im Munde führen. Gehört die ÖTV zusammen mit der SPD in Sachen Mega-Airport zur Betongießer- Fraktion?
Einen Mega-Airport, von dem Sie sprechen, will die ÖTV nicht. Unser Ziel bleibt, aus drei Flughäfen einen und aus sechs Start-und- Lande-Bahnen zwei zu machen. Wir bezweifeln, daß die Absage an Sperenberg mit ökologischen Argumenten unterfüttert werden kann. Im Gegenteil: Die beiden innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie Schönefeld sind Überbleibsel des Kalten Krieges. Niemand würde heute an diesen Standorten Flughäfen bauen, weil sie eine immense Belastung für die Menschen darstellen.
Die ÖTV plädiert für Sperenberg, weil dort angeblich der internationale Linienflug- und Frachtverkehr besser abgewickelt werden kann. Das könnte Schönefeld doch auch leisten?
Schönefeld wäre nie eine Alternative, weil es dort keine Chance für einen 24-Stunden-Betrieb gibt. Gerade unter dem Gesichtspunkt, daß der pazifische Wirtschaftsraum an Bedeutung gewinnt, brauchen Berlin und Brandenburg einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb mit internationaler Anbindung.
Das hört sich nach dem vielbeschworenen Wort vom „Wettbewerb der Regionen“ an. Frankfurt und München sind doch heute schon im Vorteil, Leipzig plant ebenfalls einen Großflughafen. Was soll da noch ein Standort südlich der Hauptstadt?
Frankfurt wird im Jahr 2000 überlaufen, kann seine Kapazitäten nicht erweitern und hat außerdem den Nachteil, keinen 24-Stunden-Betrieb einrichten zu können. Welche Impulse erhoffen Sie sich denn?
Nehmen Sie Amsterdam. Dort wird die fünfte Start-und-Lande- Bahn gebaut, hauptsächlich für den Nachtverkehr. Rund 10.000 Hektar werden zusätzlich für Industrieansiedlung zur Verfügung gestellt. Amsterdam erwartet, daß die Industriearbeitsplätze dorthin gehen, wo auch die internationale Anbindung gewährleistet wird. Im internationalen Maßstab ist Berlin für Fluggesellschaften heute viel zu teuer. Zwei Standorte bedeuten schließlich doppelte Kosten. Tegel hätte dann lediglich eine Verteilerfunktion für Kurz- und Mittelstrecken. Wenn die Langstrecken nach Schönefeld kämen, müßten die Passagiere beim Umsteigen quer durch die Stadt fahren. Für Berlin bliebe dann nur noch der vor allem ökologisch nicht zu rechtfertigende innerdeutsche und europäische Linenverkehr übrig.
Aber wie wollen Sie verhindern, daß in Sperenberg der Kurz- und Mittelstreckenverkehr verringert werden?
Wir brauchen natürlich eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Bahn und den Fluggesellschaften. Dafür kann man nur in Sperenberg die Voraussetzungen schaffen, weil gerade der Bundesverkehrswegeplan die ICE-Anschlußgleise vorsieht.
Bahn und Fluggesellschaften stehen aber in hartem Wettkampf. Viele innerdeutsche Flüge sind derzeit nicht teurer als eine Zugfahrt.
Was wir zunächst dringend brauchen, ist eine ideale Umsteigemöglichkeit vom Flugzeug auf die Schiene. Wenn staatliche Regularien dafür notwendig sind, muß man auch darüber nachdenken.
Aber eine Bahnanbindung wäre in Schönefeld leistbar, wenn man es denn politisch will?
Von Schönefeld müssen Sie erst zum Zoo oder Hauptbahnhof, um dann weiter in die Republik zu reisen. Das neue Bahnkonzept für die Hauptstadt sieht zudem einen Ausbau der ICE-Bahnanbindung gar nicht vor. Ein Ausbau der Bahnanbindung in Schönefeld käme viel teurer als am Standort Sperenberg. Das würde der Bund, der ja jetzt schon die Verkehrswege nach Sperenberg nicht finanzieren will, sicherlich nicht mitmachen.
Glauben Sie denn, daß die von Brandenburg vorgeschlagene Privatfinanzierung der verkehrlichen Anbindung und des Großflughafens überhaupt realistisch ist?
Ich bin nicht nur skeptisch, daß eine vollständige Finanzierung durch Privatunternehmen gelingt. Ein solches Modell wäre ja Neuland. Ich frage mich aber auch, ob ein solches Modell überhaupt angestrebt werden sollte. Gerade im Hinblick auf die Möglichkeit, mit dem Bahnanschluß in Sperenberg den Verkehr zu verlagern, sollten Bund und Länder ihren Einfluß behalten.
Also keine Privatfinanzierung?
Wenn sich Berlin und Brandenburg einig wären, käme der Bund doch meiner Ansicht nach gar nicht umhin, eine Verkehrsanbindung zu schaffen. Die Strecken laufen ja an Sperenberg vorbei.
Wäre ein Nein Berlins zu Sperenberg denn eine Tragödie für die Stadt?
Zumindest würde es bedeuten, daß Tegel auf Dauer offenbleibt.
Wer weiterhin die Belästigung von Hunderttausenden Menschen will, muß das auch offen sagen. Diese Klarheit vermisse ich aber bei den Sperenberg-Gegnern.
Wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus, indem Sie eine strukturschwache Region mit Berliner Problemen belasten?
Die Zerstörung der Natur ist nicht wegzudiskutieren. Bei Abwägung aller Argumente spricht vieles unter ökologischen Aspekten für Sperenberg. Wer heute aus dem pazifischen Raum in diese Gegend will, fliegt über Berlin hinweg und steigt in London oder Amsterdam in eine Mittelstreckenmaschine, um wieder nach Berlin zurückzukommen. Der neue Flughafen wäre eine Entlastung für die Menschen in der Stadt und ein Wirtschaftsmagnet direkt vor Ort. Die ökonomische Seite darf man nicht außer acht lassen: Frankfurt mit jetzt 32 Millionen Passagieren beschäftigt rund 53.000 Menschen, angefangen von ganz einfachen bis hin zu hochqualifizierten Tätigkeiten. Interview: Severin Weiland
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