■ SPD will deutsche ArbeitnehmerInnen stärker schützen: Was ist eigentlich gerecht?
Wer den vorläufigen Entwurf der SPD für ein Entsendegesetz liest, mag zuerst glauben, die Sozis seien mal wieder die besseren Menschen. „Alle Branchen“ und „alle Lohngruppen“ in Deutschland sollen gegen die Niedriglohn-Konkurrenz aus dem europäischen Ausland geschützt werden, heißt es in dem Entwurf. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort also. Auf den ersten Blick ist der SPD-Vorschlag damit immerhin ehrlicher als der verwässerte Entwurf von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der die Lohnanpassung auf unterste Lohngruppen, das Bauhauptgewerbe und zwei Jahre beschränken will. Trotzdem kann aber auch der SPD-Vorschlag nicht darüber hinwegtäuschen, daß die dahinterstehenden Schwierigkeiten gar nicht gelöst werden, sondern erst begonnen haben. Die simple Frage nämlich: „Was ist eigentlich gerecht?“ wird durch keinen der Gesetzentwürfe beantwortet.
Ist es gerecht, jetzt plötzlich bestimmte nicht exportierbare Jobs nur noch für hiesige Arbeitnehmer zu reservieren, wo doch seit Jahren exportierbare Arbeit – beispielsweise in der Textilindustrie – klammheimlich ins Ausland verlegt wurde? Und ist es überhaupt gerecht, gut ausgebildeten portugiesischen Fachkräften zu verbieten, sich zu ihren Lohnbedingungen auf dem hiesigen Markt zu verkaufen? Ist ein „offener Markt“, wie die Neoliberalen ihn propagieren, nicht tatsächlich gerechter, global betrachtet?
Aber Globalität wird schnell unmenschlich, wenn man den Personen nachspürt, die davon betroffen sind. Wer einmal den Frust von hiesigen Bauarbeitern erlebt hat, die keine Anstellung finden, aber sonntags Portugiesen, Engländer und Rumänen vor Ort werkeln sehen, kann über weltmännische Sprüche zur „Freiheit des Marktes“ nur müde lächeln. Wer erlebt hat, wie deutsche Baukonzerne billige Arbeitskräfte im Ausland einkaufen, während hiesige Handwerksbetriebe von Kleinauftrag zu Kleinauftrag hecheln, sympathisiert sofort mit deutschem Protektionismus. Im Regionalen muß die Frage der Gerechtigkeit somit anders beantwortet werden als im internationalen Maßstab. Der amerikanische Rechtsphilosoph John Rawls sagte einmal, gerecht sei das, was fair ist. Und fair sei eine Lösung, mit der die Gegenseite noch einigermaßen leben könne. Einigt man sich auf diese Kategorie, ist eine klare Entsenderichtlinie durchaus fair, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Das Problem, wie das Regionale und das Globale künftig zu vereinen sind, wird dadurch allerdings nicht gelöst. Es wird eine politische Kernfrage der Zukunft werden. Diese Zukunft hat gerade erst begonnen. Barbara Dribbusch
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